Das schönste Wort der Welt
Frühstücksraum schiebt einen Staubsauger über den Teppichboden auf der
Treppe. Die zu lange Schnur wickelt sich um ihre Beine. Pietro setzt sein übliches
Grinsen auf und sagt: »Die ist ja komplett unfähig.«
Ich sage: » Die ist genauso alt wie du und arbeitet schon.«
Da wird er rot, redet
nun schnell, mit abgehackten Wörtern, sagt, er hätte auch gern gearbeitet, doch
ich hätte es ihm ja nicht erlaubt. Das stimmt, er wollte für zwanzig Euro am
Tag Werbezettel an die Windschutzscheiben von Autos klemmen. Mir gefiel nicht,
dass er stundenlang mitten im Verkehr, mitten in diesem ganzen Dreck, stehen
würde, und das auch noch in Gesellschaft von Biffo, einem etwas zu
schlitzohrigen Kumpel von der Sorte, die permanent einen haschischverklärten Blick
hat. Ich könnte ihm sagen, dass das keine richtige Arbeit sei, dass das nur das
übliche Herumjobben sei, dass eine Arbeit, um diesen Namen zu verdienen, eine
wirkliche Notwendigkeit voraussetze, und dass er stattdessen einen Motorroller
habe, eine Gitarre, eine Sonnenbrille und ein Sparbuch, doch ich halte den Mund,
weil ich keine Lust auf Diskussionen habe.
Ich stehe auf, gehe
zur Rezeption und bitte um einen Schirm. Man gibt mir eine schlaffe und
halbkaputte gelbe Krücke. Inzwischen ist das Mädchen auf der Treppe tatsächlich
hingefallen, hat keine Miene verzogen und ist sofort wieder aufgestanden, wobei
sie sich in Sorge darüber, dass sie jemand gesehen haben könnte, umgeschaut
hat. Wir sind die Einzigen. Pietro hat sich die Fäuste gegen die Schläfen gepresst
und schüttelt seinen Kapuzenkopf. Er lacht wie ein Bekloppter, schluchzt in
sein blaues Sweatshirt. Das Mädchen sieht ihn ernst an. Da tut Pietro so, als wäre
ihm schlecht, hält sich den Bauch und täuscht einen Brechreiz vor. Er deutet
auf den mit Kippen überfüllten Aschenbecher auf dem Tisch. Das Mädchen kommt
und räumt den Aschenbecher weg. Pietro sagt thank you , versucht, sich das Lachen zu
verkneifen, schafft es aber nicht, er giggelt immer noch wie ein Idiot. Das
Mädchen macht so etwas wie eine leichte Verbeugung, ihr Atem verstreut etwas
von der Asche. Pietro schüttelt den Kopf, fegt sich die Asche von den Jeans,
hebt die Hände und lacht. Diesmal zärtlich.
»Ich geb’s auf.«
Das Mädchen kraust
das Gesicht, das fest und klar wie eine kleine, frisch geschälte Kartoffel ist,
und fragt: » What? «
Pietro schüttelt den
Kopf, er weiß nicht, wie man Ich geb’s auf übersetzt.
Er sagt: » Sorry .«
Das Mädchen dreht
sich um und kommt kurz darauf mit dem sauberen Aschenbecher zurück. Ihr Gesicht
ist rot.
» You are great «, sagt sie leise, als sie wieder
geht.
Pietro hustet und
sieht mich an.
»Ma, was hat sie
gesagt?«
»Das weißt du doch,
sie hat gesagt, du bist great ,
großartig.«
»Wirklich?«
Er plustert sich auf,
betrachtet die sich entfernende schmächtige Gestalt der Kleinen aus Sarajevo,
streift sich seine Schutzkappe vom Kopf und streicht sich die Haare glatt.
»Gefällt sie dir?«
Er fährt zu mir herum
wie eine Schlange. »Spinnst du?! Sie ist so sentimental. Mir sind italienische
Mädchen lieber.«
»Und wieso?«
»Weil ich sie
verstehe.«
Gojko kommt und
bleibt am Eingang stehen. Er hat keinen Schirm dabei, seine Jacke ist auf den
Schultern dunkel vom Regen. Er schüttelt den Kopf wie ein Hund. Sucht mich mit
den Augen, kommt näher und küsst mich. Sein nasser Körper ist warm, auch an
diesem Morgen. Er verströmt einen angenehmen Dunst, wie Heu im Regen. Er setzt
sich, bestellt einen Kaffee, zündet sich eine Zigarette an und schlägt die
Beine übereinander. Er ist zu spät, weil er in der Galerie war, um bei der
Vorbereitung der Fotoausstellung zu helfen. Seine Laune ist bestens, er
erkundigt sich, wie wir geschlafen hätten und ob wir ein bisschen Sightseeing
machen wollten, weiter auf der traurigen Route entlang der Kriegsschauplätze,
er sei daran gewöhnt, denn alle Touristen wollten das. Wir könnten auf den
jüdischen Friedhof gehen, von wo aus die Heckenschützen geschossen haben, oder
uns im Zentrum herumtreiben, bis die Ausstellung öffnet.
Pietro sagt, ihm sei
es egal. Doch dann, dass er lieber im Zentrum bleiben wolle. Mir ist heute
Morgen etwas Dummes passiert, ich habe im Halbschlaf die Hand nach ihm
ausgestreckt und ihn aus Versehen Diego genannt, weil die Nacht allzu sehr von
diesem kleinen Genueser Gespenst heimgesucht war.
Pietro rückte von
meiner Hand weg und sagte: »Mama …«
Ich schlief immer
noch halb.
Weitere Kostenlose Bücher