Das schönste Wort der Welt
aufgerissen hatte, bis die Tüte reihum gegangen war. Lächerliche,
unangenehme Augenblicke. Und dann traf der aus zu großer Nähe geworfene
Körnerhagel ohne jede Überraschung unsere verkrampften Gesichter.
Diego fotografierte,
er stellte die Kamera mit dem Selbstauslöser auf eine kleine Marmorsäule und
lief zu mir und den Geschenken. Ich weiß nicht mehr, ob wir uns die Bilder je
angesehen haben.
Anschließend suchten
wir Zuflucht in einem Restaurant in der Nähe des Kapitols, das voller deutscher
Touristen war. An das meiste von diesem Tag kann ich mich nicht erinnern. Meine
schlechte Laune hatte ihn vergiftet. Diego hob das Glas zu der Touristenrunde
am Nebentisch und prostete ihr zu. Deutsche Pfiffe und Glückwünsche ließen uns
hochleben. Die Vereinigten Staaten bombardierten den Irak. In der Nacht zuvor
hatten wir im Fernsehen gebannt mitangesehen, wie B-52-Bomber und Wild Weasels
ihre intelligenten Laserraketen abschossen.
»… es heißt, sie würden
nur strategische Ziele angreifen … dann schießen sie ein Krankenhaus oder einen
Bus ab … und entschuldigen sich hinter einer Flasche Mineralwasser.«
Mein Vater fuchtelte
mit den Armen.
»Weißt du, was auf
den Raketen steht? Die Jungs vom Apache-Bataillon haben schon ihren Spaß … Sie
schreiben DAS
HIER IST FÜR DEINEN ARSCH, SADDAM , und auf eine andere schreiben sie dann UND DAS HIER IST FÜR DEN ARSCH DEINER
FRAU. «
Er hatte ein bisschen
zu viel getrunken, saß nun niedergeschlagen da und grübelte vor sich hin,
zusammen mit seinem langsam kauenden Mund. Seit einer Weile gefiel ihm die Welt
immer weniger. Meine Mutter hatte seine Stimmungen stets ausgeglichen und ihn
zu kleinen, banalen Dingen zurückgebracht. Seit ihrem Tod war Armando
störrischer und überließ sich seinen Gedanken nun ungezügelt.
Ich hatte einen
nagelneuen Ehering am Finger und ein lästiges Gesichtchen. Ich freute mich
nicht. Ich hatte geheiratet, um ein Kind adoptieren zu dürfen. Unsere Namen
würden nun im Doppelpack durch die endlosen Tunnel der italienischen Bürokratie
wandern. Ich hatte Angst, dass diese rechtskräftige Beurkundung unserer Liebe
uns irgendwie berauben würde. Als ich neben Diego die Papiere der Eheschließung
unterschrieb, spürte ich keinerlei Freude, nur den bitteren Geschmack einer
Niederlage. Durch diese Heirat wurde meine Behinderung endgültig besiegelt.
Ich krümelte Brot auf
den Tisch. Von Zeit zu Zeit lehnte Diego seinen Kopf gegen meinen. Mein Vater
erhob das Glas, klopfte mit der Gabel dagegen und bat so um Aufmerksamkeit. Er
war der Ansicht, dass man die Dinge in bestimmten Situationen laut aussprechen
müsse. Er schwieg eine Weile und hing an seinem offenen Mund, bis die Pause zu
lang und fast schon pathetisch wurde. Er warf einen Blick in die Runde unserer
armseligen Tischgesellschaft, wenige aktuelle, gelangweilte Freunde. Er kniff
die Augen zusammen, wie es seine Art war, um die dichten Brauen und die
Gedanken zu sich zu rufen. Dann kramte er ein paar Worte hervor.
»Ich wünsche dem
Brautpaar Gesundheit, Frieden, einen vollen Teller und … und das, was kommen
wird.«
Er sah Diego und mich
an wie einen einzigen Körper. Er hatte einen Kloß im Hals, tat aber so, als
wäre es ein Rülpser. Er führte die Serviette zum Gesicht, Pardon .
»Annamaria fehlt
mir«, brummelte er.
Viola beschwerte
sich, weil das Fleisch zäh war.
»Dann bestell doch
was anderes«, antwortete ich gereizt.
Duccio wartete nicht
einmal bis zum Nachtisch und ging wieder zu seinen Models.
Diegos Fliege landete
in der Tasche seines Cordjacketts, ich fand sie ein paar Tage später.
An diesem Abend
liebten wir uns nicht. Diego machte eine Flasche Champagner auf, die er
kaltgestellt hatte, und kam zum Anstoßen zu mir. Wir verschlangen die Arme
ringförmig und bespritzten unseren Hals, unsere Kleidung. Wir wurden beschwingt
und redselig. Hatten Angst vor der Stille, Angst davor, uns nackt und besiegt
wiederzufinden.
Das Telefon weckte
uns. Gojko war am Apparat, er pfiff den Hochzeitsmarsch in den Hörer.
Ursprünglich sollte er einer der Trauzeugen sein, doch dazu waren Papiere und
Wege zur Botschaft nötig, und wir waren alle drei zu träge und
Bürokratieverweigerer, deshalb wurde nichts daraus.
»Jedenfalls bist du
der eigentliche Trauzeuge, der einzige …«, sagte ich zu ihm.
»Ich weiß, doch
leider nur der Zeuge«, witzelte er. »Ich wäre lieber der Täter gewesen.«
Er fragte uns auf
seine Art nach den Flitterwochen.
»Unter
Weitere Kostenlose Bücher