Das schönste Wort der Welt
allein mit den Lichtern von der
Straße. Es ist Nacht, und ich schwitze. Der Schweiß läuft mir in den Mund, er
schmeckt bitter, nach Toxinen, nach Wut, wie der Auswurf eines
jahrtausendealten, ausgestorbenen Tieres. Im dunklen Spiegel die Umrisse meines
Körpers, der sich einsam bewegt, dieser Raum war für die Zukunft bestimmt.
Unten auf der Straße lacht jemand, das Band ist schneller als meine Schritte;
als ich es bemerke, bin ich schon hingefallen.
Mit verstauchtem
Handgelenk und einem kleinen, weißen Verband unter dem Ärmel besuche ich Viola,
die entbunden hat. Sie liegt im Bett, mit zerknittertem Morgenrock und ihrem
typischen Gesicht, das sie bei der Arbeit macht und auch wenn wir in die Bar
gehen. Nur dass sie nun auch diesen etwas schlaffen Bauch und eine
Veneninfusion hat, die mit einem weißen Pflaster am Handgelenk befestigt ist.
Da liegt sie nun, ruhig in diesem Krankenhauszimmer, im Nachbarbett eine
farbige Frau mit einem kleinen Radio am Ohr.
Sie hat ein Bein im
Bett angewinkelt und aufgestellt, dazu diesen gelblichen Teint und ungekämmte
Haare. Als sie mich sieht, strahlt sie.
»He, dass du gekommen
bist …«
Ich werfe einen Blick
in die Runde und frage mich, warum sie sich keinen besseren Ort als den hier
ausgesucht hat. Doch Viola ist ein unbedarfter Mensch, ihre Fruchtblase ist
geplatzt, sie hat einen Krankenwagen gerufen, und man hat sie dahin gebracht,
wo gerade ein Platz frei war.
»Rauchen wir eine?«
»Darfst du denn
rauchen?«
»Das ist mir so was
von scheißegal.«
Auf einer Art Balkon,
nicht breiter als ein Fußabtreter, drücken wir uns an eine smoggeschwärzte
Brüstung, unter uns der Abzug einer Kantine, es stinkt nach Küchenabfällen.
Viola raucht, zieht
am weißen Stäbchen ihrer Zigarette und sieht hinunter auf den Krankenhausrasen,
auf die Kranken, auf die eintreffenden Besucher.
»Freust du dich?«
»Ja.«
Ihr Gesicht erschöpft
im Wind.
Während der
Schwangerschaft hat sie sich von ihrem Freund getrennt, einem volltätowierten
Blödmann. Sie hat allein weitergemacht, mit ihrer Mittelmäßigkeit.
Kein Gedicht über
diesen Bauch, kein Liebesfilm. Nur kurz angebundener Realismus. Trotzdem hat
dieses Mädchen eine ganz eigene Sanftheit.
Ich helfe ihr, sich
mit Reinigungstüchern den Hals zu waschen, mache ein bisschen Ordnung im
Schubfach ihres Metallnachtschränkchens, ein verschütteter Fruchtsaft, eine
angeklebte Zeitschrift. Viola bedankt sich mit einem Nicken. Ich gehe runter,
kaufe ihr eine Schachtel Zigaretten und ein Eis. Es kommt mir merkwürdig vor,
dass kein Mensch bei diesem Mädchen ist, das gerade entbunden hat.
»Wo ist denn deine
Mutter?«
»Zelten.«
Alles, was ich da
sehe, beißt sich mit dem Bild der Mutterschaft, mit der widerlichen
Süßlichkeit, die ich glaubte, wie eine Strafe schlucken zu müssen. Viola ist
dermaßen träge und allein, dass sie mir Kraft gibt. Sie sieht nicht aus wie
eine Wöchnerin, sondern wie eine, die vom Moped gefallen ist und sich ein Bein
gebrochen hat.
Man bringt das Kind.
Viola gibt es sofort mir, reicht es mir wie einen Aktenordner oder wie ein
Brötchen.
»Wie findest du es?«,
fragt sie.
Es ist ein kleines,
schwarzes Etwas mit zerdrückter Nase und der Miene eines Erwachsenen. Es sieht
nicht italienisch aus, eher afghanisch, es ähnelt dem Vater.
»Ihm fehlt bloß noch
der Schlips, es sieht schon aus wie ein Mann … Das geht bestimmt schon auf den
eigenen Füßen nach Hause.«
Viola lacht, stimmt
mir zu, sagt zum
Glück . Und der
Afghane schreit nicht, er ist freundlich, heiter.
»Hoffen wir, dass es
schläft.«
»Kannst du stillen?«
Ihre Brust ist noch
klein, sie nimmt das Kind und legt es an, sie pustet, weil die Krankenschwester
ihr das geraten hat, denn wenn das Kind nicht saugt, schießt die Milch nicht ein .
Viola nickt, während
sie sie mitsamt ihren weißen Trägern zum Teufel schickt.
Nun helfe ich ihr.
Ich, die ich keine Ahnung habe … Ich beuge mich auf dem Kopfkissen zu ihr,
stütze das Köpfchen des Kleinen und zupfe es am Kinn, damit es den Mund
aufmacht.
Viola sieht mir zu
und sagt, ich sei besser als die Schwester. Ich lache und werde rot.
Ich umarme meine
Freundin, bemerke ihren Geruch nach Schweiß und Anstrengung. Als ich gehe,
weint sie. Und weinend lächelt sie.
»Das sind die
nachlassenden Hormone.«
Ich gehe hinter der
Krankenschwester, die das Kind zurück auf die Säuglingsstation bringt. Ich
bleibe stehen und schaue mir durch die Scheibe die Metallbettchen an,
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