Das schönste Wort der Welt
Villa aus den zwanziger Jahren, umgeben von einem
verwilderten Garten. Ein Ödland von Zimmern, von Kitteln, die zum Rauchen auf
den Fensterbrettern saßen, von Drogensüchtigen auf der Weide. Neben uns eine
schemenhafte Frau, die ihre Brieftasche in einer zerknitterten Einkaufstüte verstaut
hatte.
Wir traten ein, der
Psychologe vom Gesundheitsdienst lächelte uns an, er telefonierte und legte
nicht auf. Dann stellte er Fragen und füllte den Fragebogen aus. Fast ohne uns
anzusehen, gab er uns eine ausgezeichnete Beurteilung.
Endlich setzen wir
uns zu einem ersten Gespräch. Die Psychologin, die unseren Fall betreuen wird,
ist eine stämmige Frau, sie hält sich noch mit der Sozialarbeiterin an der Tür
auf, einem farblosen Mädchen, das mit Weste und Krawatte wie ein Mann gekleidet
ist. Dann kommt sie näher, sieht uns an, ohne uns anzusehen, und legt unsere
Akten auf den Tisch, sie hat dichtes Haar und kleine, mit Lidschatten
geschminkte Augen, sie trägt eine Handvoll klirrender Halsketten. Sie muss
einmal sehr schön gewesen sein, ich betrachte ihre vollen Lippen und die weißen
Zähne, die sie in einem fort entblößt, ein Mund mit einer ganz eigenen
Sinnlichkeit, einer ganz eigenen Vulgarität. Sie schaut auf, und mir wird klar,
dass sie mich hassen wird. Es gibt eben Frauen, die mich hassen. Ich habe
gelernt, sie beim ersten Wimpernschlag zu erkennen. Habe gelernt, mich zu
schützen. Ich versuche, nicht daran zu denken, mich nicht von dieser
Wahrnehmung beeinflussen zu lassen, und antworte auf ihre Fragen. Ihre Stimme
ist so kräftig wie ihre Statur, dumpf tönt sie durch den Raum, der voller
Poster mit Kindern darauf ist, mit Händen, die sich begegnen. Sie lächelt mir
zu und bittet mich, weiterzusprechen. Doch mir kommt es so vor, als tue sie
eigentlich alles, um mir den Mut zu nehmen. Ihre Augen laufen wie Billardkugeln
von mir zu Diego. Ich fühle mich angreifbar und unsicher. Sie wägt gerade
unsere Fehler ab. Diego ist jünger als ich, das sieht man. Mein Rücken ist
krumm, ich schlinge die Arme um mich und sitze zusammengekauert da wie eine,
die Bauchschmerzen hat. Es liegt auf der Hand, dass ich diejenige bin, die unfruchtbar
ist. Ich rede unnützes Zeug, weiche den Fragen aus. Ich kann nicht die Wahrheit
sagen. Die Wahrheit ist, dass ich ein Kind mit den Augen und den Schultern des
Jungen wollte, den ich liebe. Die Wahrheit ist das, was diese Frau mir ansieht:
Ich bin in Not hier. Dies ist mein letzter Strand. Denn hätte ich ein leibliches
Kind haben können, wäre ich garantiert nicht hier, bei dieser Frau, die so laut
ist wie ihre Ketten und mich als Lügnerin entlarvt. Mich treibt nicht die
geringste Gutmütigkeit. Ich habe nur Angst, dass Diego fortgeht, ich will ihn
an mich fesseln. Genau das will ich. Ich will ein Vorhängeschloss aus Fleisch
und Blut. Ich versuche, selbstsicher zu wirken, und piepse herum. Doch
eigentlich möchte ich zusammensinken und weinen, die Arme um diesen Tisch voller
Papiere geschlungen, voller Dokumente von Leuten, die wie wir gelitten haben.
Ich habe gehofft, die Psychologin werde mich überzeugen. Habe geglaubt, so könne
es funktionieren, wie beim Priester, habe geglaubt, eine erfahrene Hand werde
mich bei der Hand nehmen. Stattdessen macht diese Frau ihre Arbeit als
Elternprüferin. Sie sagt mir die Wahrheit, sagt, dass es ein langer,
schmerzhafter Weg sei. Ein Leidensweg für Psyche und Seele.
»Auch sehr gut
aufeinander eingespielte, hoch motivierte Paare erleben fürchterliche
Rückschläge.«
Ich rieche etwas,
meine Achseln sind nass von einem nervösen, säuerlichen Schweiß, sickerndem
Schmerz.
Zu Hause rege ich
mich auf: »Diese Schlampe! Diese fette Arschkuh!«
Ich fühle mich
verletzt, bloßgestellt. Ich spüre eine Hand, die in mich eingedrungen ist, um
meine intimsten Zonen auszukratzen und meine letzten Gerinnsel zu entfernen.
Diego schließt sich
in die Dunkelkammer ein, weit weg von mir. Soll er doch. Er ging in seinem
Pullover an mir vorbei, und am liebsten hätte ich ihm den zerfetzt und ihn an
den Haaren gezogen. Er hatte mich nicht verteidigt, hatte mich über die Klinge
springen lassen. Während ich sprach, wandte sich die Psychologin an ihn, für
eine Ohrfeige: »Meinen Sie, dass Ihre Frau ehrlich ist?«
Diego verschlug es
die Sprache. Dann nickte er, doch so wie diese künstlichen Hunde, die früher
hinten im Auto lagen, mechanisch und träge.
Das nächste Gespräch
lasse ich ausfallen. Ich habe Schwierigkeiten in der Redaktion.
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