Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition)
Fußweg zu meinem Cottage begleitete. Ich wollte ihn nicht an der Nase herumführen, doch aufs Alleinsein hatte ich auch keine Lust. Jedenfalls nicht hier in dieser bedrohlichen Dunkelheit.
»Passen Sie auf, wo Sie hintreten«, ermahnte mich Stuart und ergriff meinen Arm. »Jetzt wären Sie in meiner Gesellschaft fast das zweite Mal vom Weg abgekommen.« Er blieb stehen. »Was ist los?«
In dem Moment, in dem er mich gepackt hatte, war in mir so etwas wie Panik aufgestiegen, und mein Herz hatte wie wild geschlagen. Ich atmete tief durch und zwang mich zu einem Lächeln. »Sie … Sie haben mich ein bisschen erschreckt«, erklärte ich.
»Das sehe ich. Tut mir leid.«
»Nicht Ihre Schuld. Ehrlich gesagt, hasse ich diesen Weg in der Nacht. Tagsüber hab ich kein Problem damit, aber in der Dunkelheit finde ich ihn gruselig.«
»Wirklich? Warum?«
»Keine Ahnung. Ist vermutlich beruflich bedingt. Ich habe eben eine blühende Phantasie.«
»Sie können mich jederzeit anrufen, dann komme ich und begleite Sie nach Hause.«
»Sie werden ja erst mal nicht da sein«, erinnerte ich ihn.
»Aye. Ich fahre morgen ziemlich früh los. Aber wie gesagt: Ich komme zurück.«
Mittlerweile hatten wir das Cottage erreicht. Als ich den Schlüssel ins Schloss steckte, fragte Stuart: »Soll ich mit reingehen und nachsehen, ob in den Schränken Monster lauern?«
Seinem Blick nach zu urteilen stand ihm der Sinn eher danach, unter meinem Bett zu suchen, also winkte ich ab. »Nein, nicht nötig, ich komme zurecht.«
»Sicher?«
»Ja.«
Ich sah, dass er mit dem Gedanken spielte, mir einen Gute-Nacht-Kuss zu geben, doch ich ließ ihm keine Gelegenheit dazu und umarmte ihn unmissverständlich freundschaftlich. »Danke noch mal fürs Heimbringen«, sagte ich. »Und gute Fahrt nach London.«
»Danke«, erwiderte er, überrascht über die Umarmung, und trat einen Schritt zurück auf den Pfad. »Bis bald.«
Im Cottage fühlte ich mich allein und einsam, und es war kalt. Ich brauchte eine ganze Stunde, um die verloschene Glut wieder zum Glimmen zu bringen, und hinterher war ich so durchgefroren und müde, dass ich mich nur noch ins Bett legen und schlafen wollte.
Trotzdem nahm ich das blau gebundene Buch von Dr. Weir mit, auf dessen Titelseite stand: »Die alte schottische Marine von 1689 bis 1710, herausgegeben von James Grant, L.L.B.« Auf dem Frontispiz befand sich das Schwarz-Weiß-Porträt eines Marineoffiziers mit weißer Perücke, der mit Achtung gebietender Pose auf ein Segelschiff im Hintergrund deutete. Da seine Augen und sein Gesicht mir irgendwie bekannt vorkamen, sah ich mir die Kursivschrift unter dem Bild genauer an.
Thomas Gordon , las ich da.
Admiral Thomas Gordon, um genau zu sein, aber jeder Admiral fängt einmal als Captain an.
Ich setzte mich auf. Die Bettdecke rutschte herunter. Meine Entdeckung faszinierte mich so sehr, dass ich kaum bemerkte, wie die Kälte in meinen Körper kroch. Ich begann, allen Registerverweisen auf Thomas Gordon nachzugehen.
»Thomas Gordon durchlief«, informierte mich das Buch, »eine bemerkenswerte Karriere … Auf seinen Fahrten kam er bis nach Shetland, Stockholm, Norwegen und Holland. Am 17. Juli 1703 wurde er zum Captain der Royal Mary in der schottischen Marine ernannt.«
Nun, dachte ich, so sehr daneben lag ich gar nicht: die Royal Mary . William und Mary hatten gemeinsam regiert, und ich war bei der Benennung meines Schiffs lediglich auf die falsche Hälfte des Paars verfallen.
Als ich weiterlas, stieß ich auf den Text eines Briefs, den Nathaniel Hooke über seinen ersten Besuch in Schottland zwei Jahre vor Beginn meiner Geschichte geschrieben hatte: »Während unseres Aufenthalts bei Lady Erroll befand sich unser Schiff (die Audacious ) in Schussweite ihres Anwesens. Am Tag nach meiner Ankunft traf Mr. Gordon, Captain einer schottischen Fregatte, aus südlicher Richtung mit dem Auftrag ein, die Küste zu überwachen. Mylady Erroll versicherte mir, ich brauche keine Angst zu haben, und ließ den Captain durch einen Boten bitten, einen anderen Kurs einzuschlagen, was er tat. Inzwischen hat die Lady ihn für sich gewonnen, und jedes Mal, wenn er an jenem Küstenabschnitt vorbeikommt, bemüht er sich, sie rechtzeitig zu informieren …«
Das hatte ich schon einmal irgendwo gelesen, das wusste ich.
Danach folgten unterschiedliche Dokumente: Befehle an Captain Gordon und andere; die Anweisung an Gordon, nach Scarborough zu segeln; 1705 die Ernennung Gordons zum Kapitän
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