Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition)
verlassen, und kehrte nach einer Weile mit einem Aktenordner voller Papiere zurück. »Die können Sie behalten, wenn Sie wollen«, erklärte er. »Ich habe Kopien. Boswells Bericht ist deutlich lebendiger als der von Johnson, der sich aber auch ziemlich gut liest. Und irgendwo«, murmelte er mit einem suchenden Blick, »hatte ich doch die alten Pläne der Burg. Was habe ich bloß mit denen gemacht?«
»Vielleicht verliehen?«, fragte Elsie.
»Tja, wahrscheinlich.« Er setzte sich wieder. »Der Fluch des Alters. Ständig vergesse ich Dinge. Aber ich versuche, die Pläne für Sie aufzuspüren. Darauf würden Sie doch sicher gern einen Blick werfen, oder?«
»Ja, sehr gern sogar.«
»Es muss Spaß machen, über die Vergangenheit zu schreiben. Wie haben Sie Ihr Interesse an Geschichte entdeckt?«, fragte Elsie.
Auch darauf wusste ich keine kurze Antwort, also erzählte ich von der Beschäftigung meines Vaters mit Genealogie, von unseren Ausflügen zu den Orten, aus denen unsere Vorfahren stammten, und von den Besuchen an den Gräbern unserer Ahnen, deren Gesichter ich von den gerahmten, vergilbten Fotos überall im Haus kannte.
Der Arzt nickte. »Aye, mein Vater war nicht sonderlich an Geschichte interessiert, aber in seinem Arbeitszimmer hing ein ziemlich gutes Porträt eines Weir-Vorfahren, eines Kapitäns. Dazu dachte ich mir allerlei Geschichten aus. Vermutlich liebe ich das Meer deshalb so sehr.«
Das erinnerte mich an etwas. »Wissen Sie zufällig, wie ich mehr über die schottische Marine im achtzehnten Jahrhundert erfahren könnte?«
Er stellte das Glas ab und sah hinüber zu seinen Regalen. »Nun, ein paar Bände zu dem Thema hätte ich hier.«
»Ganze Regale«, berichtigte Elsie ihn. »Wollen Sie Informationen zu den Schiffen?«
»Eher zu den Leuten darauf. Besonders zu einem der Kapitäne, über die Nathaniel Hooke schreibt.«
»Ah, Captain Gordon, stimmt’s?« Dr. Weir trat ans Regal. »Ziemlich viel über ihn steht in The Old Scots Navy . Irgendwo hatte ich doch eine Ausgabe davon. Aye, hier ist sie ja. Wenn Sie wollen, können Sie sie mitnehmen und im Cottage lesen. Ich hätte auch noch andere Bücher, die …«
Da klopfte es.
»Wenn Sie mich einen Augenblick entschuldigen würden«, sagte der Arzt und ging hinaus auf den Flur. Ich hörte, wie sich die Tür öffnete, dann die gedämpften Stimmen von Dr. Weir und einem anderen Mann, kurzes Lachen und schließlich Schritte.
Dr. Weir kehrte mit einem breiten Grinsen auf den Lippen zurück. »Ihr Chauffeur ist hier.«
»Mein Chauffeur?«
Hinter ihm stand Stuart Keith. »Ich war grade auf dem Weg nach Hause und dachte mir, vielleicht wollen Sie mitfahren. Es geht ein ganz schöner Wind.«
Der Gedanke an Castle Wood und den dunklen Pfad hoch zu meinem Cottage ließ Stuarts Angebot sehr verlockend erscheinen.
Also bedankte ich mich bei den Weirs für einen sehr angenehmen und informativen Abend, trank meinen Whisky ein wenig zu hastig aus und verabschiedete mich, Dr. Weirs Buch und Ordner in der Hand.
Draußen rüttelte der Wind an Stuarts schnittigem Wagen, in den ich nun kletterte. »Woher wussten Sie, wo ich sein würde?«, erkundigte ich mich.
»Jemand im Pub hat’s erwähnt. Wie gesagt: Kaum ist mein Dad eine Stunde im St.-Olaf-Hotel, schon weiß es der ganze Ort. Hat er einen Plan für Sie ausgearbeitet?«
»Nicht direkt. Nur eine Liste mit Namen der Leute, die mir seiner Ansicht nach helfen können.«
»Aha. Und wer steht drauf?«
»Offen gestanden, erinnere ich mich nicht an die Namen. Aber dieses Wochenende will mir wohl jemand mit dem Wagen die Gegend zeigen, ein Klempner, vielleicht auch ein Lehrer.«
Er lächelte. »Eher der Klempner. Sie müssen nicht mit ihm fahren – ich kann Sie auch chauffieren.« Dabei riss er das Steuer ziemlich unsanft herum, so dass die hinteren Räder ausbrachen und wir nur mit knapper Not unbeschadet die Main Street erreichten.
Ich klammerte mich an der Armstütze fest. »Vermutlich sind meine Überlebenschancen bei dem Klempner besser.«
Als er lachte, fuhr ich fort: »Außerdem wollen Sie am Wochenende doch nach London, oder?«
»Aye, aber nicht für lange.« Ich spürte seinen Blick, ohne dass ich seine Augen in dem trüben Licht hätte erkennen können.
Ich gefiel ihm. Mir ging es umgekehrt genauso, aber nicht auf diese Weise, weil ich in seiner Gegenwart kein erotisches Knistern spürte. Also hatte ich fast ein schlechtes Gewissen, als er den Wagen abstellte und mich den schlammigen
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