Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition)
Schade, dass sie heute nicht bei uns sein kann. Sie würde ihnen ein Loch in den Bauch fragen über Ihre Bücher, weil sie immer selbst eins schreiben wollte.«
»Vermutlich hätte sie Ihnen sogar bei den Recherchen behilflich sein können«, sagte Graham. »Die Familie meiner Mutter lebt seit Generationen hier in der Gegend.«
»Stimmt«, pflichtete Jimmy ihm bei. »Sie hätte Ihnen Geschichten erzählen können! Und bei ihr wär auch der Braten besser gewesen.«
»An dem hier ist nichts auszusetzen«, versicherte ich ihm. Zwar war das Fleisch tatsächlich ein wenig verkohlt und trocken, aber mit Sauce ließ es sich ohne Weiteres essen, und die Karotten und Kartoffeln, obwohl ebenfalls ein bisschen verkocht, schmeckten prima.
»Gehen Sie ihm nicht zu sehr um den Bart«, riet Stuart mir, der neben mir saß und dessen Arm von Zeit zu Zeit wie zufällig den meinen berührte. Hoffentlich war Graham nicht eifersüchtig!
Ich hatte gedacht, Jimmy, Graham und ich würden zusammen essen und uns unterhalten, und hinterher würde Graham mich nach Hause begleiten … wer wusste schon, was dann vielleicht passierte.
Doch Stuart machte mir einen Strich durch die Rechnung. Nach Grahams historischen Ausführungen war er nun nicht mehr bereit, sich in den Hintergrund drängen zu lassen. Er riss das Gespräch an sich, und Graham ließ ihn gewähren.
Ich wurde immer frustrierter.
Jimmy zuliebe blieb ich bis zum Kaffee. Danach brachte er das Geschirr zur Spüle und machte sich an den Abwasch. Als ich ihm meine Hilfe anbot, schüttelte er den Kopf. »Nein, nein, sparen Sie sich Ihre Energie fürs Schreiben.«
Was mir Gelegenheit gab, mich für die Einladung zu bedanken und ihm zu sagen, dass ich mich wieder an die Arbeit machen müsse. »Ich hab heute Vormittag mitten im Kapitel aufgehört und möchte es zu Ende bringen.«
»Gut. Lassen Sie mich bloß noch schnell aufräumen.« Jimmy richtete, die Hände voller Geschirr, den Blick auf Stuart. »Stuie, du Faulpelz, hol ihre Jacke.«
Stuart stand auf, und Jimmy folgte ihm, so dass ich unvermittelt mit Graham allein war.
Ich hielt den Blick auf den Tisch vor mir gerichtet.
»Dir ist klar, dass Stuart dich als seine Beute betrachtet?«, fragte er.
»Ja.« Ich sah ihn an. »Aber ich gehöre nicht ihm.«
»Ich weiß«, erwiderte er ganz ruhig. »Doch er ist mein Bruder.«
Was sollte das nun wieder heißen?
»Da wären wir«, verkündete Stuart lautstark, als er mit meiner Jacke in der Hand zurückkehrte. Das einzig Gute an egoistischen Männern ist, dass sie von ihrer Umgebung kaum etwas mitbekommen. Jeder andere hätte in dem Moment gemerkt, dass zwischen Graham und mir etwas im Gange war.
Während Stuart mir in die Jacke half, gesellte sich Jimmy wieder zu uns und fragte: »Soll einer von den Jungs Sie nach Hause begleiten?«
»Nein, danke.« Ich schenkte Graham ein zaghaftes Lächeln, das der hinter mir stehende Stuart nicht sah. »Ich komme zurecht«, sagte ich.
Kein Problem, redete ich mir ein. Ich war zum Arbeiten nach Cruden Bay gereist und hatte sowieso keine Zeit, mich auf eine Liebesgeschichte einzulassen.
Obwohl das Badewasser kalt zu werden begann, tauchte ich bis zum Kinn hinein. Meine Figuren sprachen zu mir, wie sie es immer taten, wenn ich in der Wanne lag, doch ich versuchte, ihre Stimmen auszublenden – besonders die von John Moray, dessen graue Augen mich nicht mehr losließen.
Ich bedauerte es schon, ihn wie Graham beschrieben zu haben. Doch nun konnte ich das nicht mehr ändern, weil er bereits Gestalt angenommen hatte.
Da hörte ich Morays leise Stimme. Seufzend griff ich zu Stift und Papier, die immer neben der Wanne bereitlagen. »Na schön«, sagte ich.
Als ich seine Worte notierte, begann Sophia zu antworten, und wenig später ließ ich das Wasser aus der Wanne, trocknete mich ab, zog mich an und setzte mich an den Computer.
Bei Graham, den Pferden und Angus im Stall hatte ich mich gewundert, wie sehr das Leben die Kunst imitierte.
Jetzt wurde es Zeit, dass die Kunst sich am Leben orientierte.
7
Plötzlich schaute Moray aufs Meer hinaus und brachte den Wallach zum Stehen.
»Was ist?«, fragte Sophia und hielt ebenfalls an.
Doch da entdeckte auch sie das Schiff, das im Süden in Sicht kam. Die Flagge konnte sie noch nicht erkennen, aber die Art und Weise, wie es sich lauernd die Küste entlangbewegte, ließ sie misstrauisch werden.
Mit starrer Miene wendete Moray sein Pferd. »Wir sollten umkehren.«
Sophia folgte ihm
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