Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition)
ganze Kirche wurde aus dem einen Felsen von Ardendraught gebaut. Wahrscheinlich kannst du dir jetzt eine Vorstellung von seiner Größe machen«, hörte ich Graham sagen.
Zu Sophias und Morays Zeit hatte sich der Felsen noch oben auf der Klippe befunden. Das erklärte, warum sich kein Gefühl des Wiedererkennens einstellte.
»In welchem Jahr wurde die Kirche errichtet?«, fragte ich.
»1776. Es gab davor in der Gegend schon eine, doch niemand weiß, an welcher Stelle genau.«
Ich hätte ihm ihren Grundriss unter dem des jetzigen Gebäudes zeigen können, schwieg aber, als Graham mich durch das Gotteshaus führte.
Einige Dinge empfand ich als besonders interessant, zum Beispiel den Marmorblock, der für das Grab eines dänischen Prinzen übers Meer herangeschafft worden war. Er hatte sein Leben in der Schlacht im elften Jahrhundert gelassen, nach der Cruden Bay benannt war.
»Cruden heißt so viel wie ›Dänengemetzel‹«, erklärte Graham. »Und Cruden Water befindet sich ganz in der Nähe des damaligen Schlachtfelds.«
Ich schaute hinüber zu dem Bach, der still unter der Brücke bei unserem Wagen hindurchfloss.
»Ist die alt?«, fragte ich neugierig.
»Aye. Die Bishop’s Bridge. Es müsste sie schon in der Zeit gegeben haben, in der dein Buch spielt. Möchtest du sie dir genauer ansehen?«
Ich bejahte. Die nicht mehr als drei Meter breite Brücke hatte verwitterte, überkrustete Seitenmauern, die Graham in etwa bis zum Ellbogen reichten. Cruden Water floss, abgesehen von ein paar Strudeln, die sich in Ufernähe unter den kahlen Ästen der Bäume bildeten, schlammig braun und ruhig dahin.
Graham blieb in der Mitte stehen, um sich übers Geländer zu beugen und dem Wasser nachzusehen. »Sie ist nach Bishop Drummond benannt, der sie erbaute. Allerdings wurde sie erst 1697 fertig, zwei Jahre nach seinem Tod. Seinen Lebensabend verbrachte der Bischof in Slains«, erzählte er.
Etwa zehn Jahre vor der Zeit, mit der ich mich gerade beschäftigte. Der Name erinnerte mich an das verschwommene Bild eines Mannes mit freundlichem Gesicht und müden Augen.
»Gab es auch einen Bishop Dunbar?«, erkundigte ich mich.
»William Dunbar, aye. Er war zum Zeitpunkt des Aufstands von 1708 Geistlicher in Cruden und offenbar sehr beliebt. Die Leute murrten, als die Kirche ihn aus der Pfarrei verbannte.«
»Warum denn das?«
»Er war Episkopalist, genau wie Drummond und deine Errolls in Slains. Wenn du dich ein bisschen vorbeugst, kannst du das sehen, was vom Wappen des Earl of Erroll an der Seite der Brücke noch übrig ist. Das Viereck da drüben.«
Ich fand das Viereck, konnte aber keine Einzelheiten erkennen, weil der Stein so abgewetzt war. Da weckte die Bewegung des Wassers unter mir die Erinnerung an einen anderen Bach und eine andere Brücke sowie die Ereignisse dort …
Der Bischof sei verflucht , hörte ich Morays ruhige Stimme, und ich versuchte, das, was er weiter sagte, zu verstehen, doch Graham holte mich mit seiner Frage zurück. »Beschäftigst du dich in deinem Buch auch mit den religiösen Auseinandersetzungen?«
»Ja, die spielen eine Rolle. Anders geht es gar nicht.«
»Den meisten Studenten ist nicht klar, wie wichtig diese Problematik war«, erklärte Graham. »Wie viele Kämpfe stattfanden, weil jemand aus dem falschen Gebetbuch las. Wenn wir damals gelebt hätten, du Presbyterianerin gewesen wärst und ich Episkopalist, hätten wir nicht zusammen auf dieser Brücke stehen können.«
Ich legte meine vom Stein der Brücke kalten Finger auf meine Brust. »Ich bin’s übrigens tatsächlich.«
»Was?«
»Presbyterianerin.«
Er lächelte. »Hier sagen wir Church of Scotland dazu, der ich übrigens auch angehöre.«
»Tja, dann können wir wohl gefahrlos auf derselben Brücke stehen.«
»Aye, wahrscheinlich.« Er musterte mich. »Ist dir kalt?«
»Nur an den Händen.«
»Warum sagst du denn nichts? Hier, nimm.« Er zog seine Handschuhe aus und reichte sie mir.
Wie Sophia stellte ich fest, dass sie warm und zu groß waren und sich rau anfühlten an meinen Fingern.
»Besser?«, fragte er.
Ich nickte schweigend, wieder einmal erstaunt ob der Übereinstimmungen zwischen der Welt, die ich dabei war zu erschaffen, und der Realität.
»Möchtest du zum Aufwärmen einen Kaffee trinken?«
Wie Sophia spürte ich, dass ich mit meiner Antwort die Zukunft beeinflussen konnte.
»Ich hab Kaffee im Cottage. Den könnte ich uns machen.«
»Gut«, sagte er, richtete sich auf, hielt mir die Hand hin
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