Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition)
so dass Moray die vernarbte Haut ihres Unterarms sehen konnte. »Das hier stammt von ihm.«
»Er hat Ihnen diese Brandwunde zugefügt?«, fragte Moray entsetzt.
»Das Ale hat ihm zu lange gedauert. Das war die Strafe dafür.«
»Hat Ihnen denn niemand geholfen?«
»Mit meiner Tante ging er genauso um. Solange meine Mutter bei uns war, hielt er sich zurück, weil mein Vater ihm Geld gegeben hatte, damit er sich um uns kümmerte, und das wollte er natürlich nicht verlieren. Aber sobald er hörte, dass unsere Eltern gestorben waren …« Sie zuckte mit den Achseln, um den Schmerz zu überspielen. »Seine Wutanfälle wurden durch die Krankheit und den Tod meiner Tante noch schlimmer. Meine Schwester bekam das meiste davon ab, weil sie mich schützen wollte. Sie war hübsch und hätte einem guten Mann eine liebevolle Frau sein können, wenn nicht …« Sie biss sich auf die Lippe. »Wenn mein Onkel sie nicht auch auf diese Weise benutzt hätte.«
Sophia sah Moray nicht an.
»Mich hat er nie so berührt, weil sie ihm das Versprechen abgenommen hatte, es nicht zu tun. Wenigstens in dieser Hinsicht hielt er Wort. Anna war schwanger von meinem Onkel. Er wollte nicht, dass die Nachbarn davon erfuhren, und so wandte er sich an eine Frau, die behauptete, sie könne dafür sorgen, dass das Kind nicht weiterwachse.« Sophia musste an jene grässliche Nacht mit der schmutzigen Alten und den übel riechenden Tränken denken, an Annas Angst, als ihr Onkel sie festhielt. An ihre Schreie und den Gestank des Todes. »Wenn ich noch an Gott glauben könnte, würde ich sagen, dass Er meine Schwester aus Mitleid zu sich genommen hat.«
Sie drückte den Stein in ihrer Hand so fest, dass er sich in ihr Fleisch grub. »Es ist eine traurige Geschichte«, sagte sie, »ich hätte sie Ihnen nicht erzählen sollen.«
»Aber danach sind Sie doch nicht mehr in diesem Haus geblieben, oder?«, fragte Moray.
»Ich hatte keine andere Wahl. Zum Glück wurde Onkel John kurz darauf schwer krank und konnte mir nicht mehr gefährlich werden.«
»Solange ich lebe«, versprach Moray, »wird Ihnen kein Mann mehr Böses tun. Das können Sie auch dem Gärtner bestellen …«
»Bitte«, fiel sie ihm ins Wort, »bitte legen Sie sich nicht mit Billy Wick an.«
»Wollen Sie ihn etwa schützen?«, fragte er erstaunt.
»Nein, aber ich möchte auch nicht, dass Sie ihn sich zum Feind machen, denn für Sie steht viel auf dem Spiel.«
Sie sah Moray an, der mit sanfter Stimme sagte: »Sie machen sich Sorgen um mich?«
Sie nickte stumm.
»Haben Sie an dem Morgen im Stall für mich gebetet?«, fragte er ungläubig.
Sie versuchte, den Blick abzuwenden, doch er umfasste ihr Gesicht mit der Hand und wiederholte: »Für mich?«
»Ich bete nie«, antwortete sie, alles andere als überzeugend. »Weil ich nicht an Gott glaube.«
Er lächelte, und seine Zähne blitzten auf. »Aye, das haben Sie mir schon erklärt.« Dann wölbte er beide Hände um ihr Gesicht und küsste sie sanft und vorsichtig, und sie spürte einen Moment lang nur noch seine Wärme, seine Berührung, seine Kraft.
»Mr. Moray«, hob Sophia an, als er sich von ihr löste.
»Ich hab einen Namen, Mädel, und bei dem solltest du mich nennen.«
»John …«
Da küsste er sie noch einmal.
Dreizehn
»Keine Ahnung«, hörte ich meinen Vater am anderen Ende der Leitung sagen. »Ich dachte, er hätt’s irgendwo gelesen. War nicht in einem von Greg Clarks Büchern etwas über einen kleinen Stein mit einem Loch darin?«
»The Talisman« , lautete der Titel einer Kurzgeschichte von einem meiner kanadischen Lieblingsautoren. »Ja, aber daher kannte Opa die Geschichte nicht. Weißt du nicht mehr? Er hat immer gesagt, er hätte sie von seinem Vater.«
»Mag sein.«
»Wie weit, glaubst du, reicht die Sache mit dem Stein in unserer Familie zurück? Wer hat sie als Erster erzählt?«
»Ich weiß es nicht. Ist das wichtig?«
Ich ließ den Daumen über den kleinen, speckigen Stein in meiner Hand gleiten, den ich im Jahr zuvor in Spanien nach jahrelanger Suche gefunden hatte und in meinem Schmuckkästchen aufbewahrte, das ich auf Reisen immer mitführte.
»Nein, nicht wirklich«, antwortete ich. »Das waren nur so Gedanken.«
»Nun«, sagte mein Vater, um das Thema zu wechseln. »Ich hab jetzt eine weitere Generation unserer Kirkcudbright-Linie rekonstruiert. Erinnerst du dich an Ross McClelland?«
»Ja, natürlich.« Mein Vater hatte ihn bei einer Schottlandreise in den Sechzigerjahren
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