Das Schützenhaus
trafen wir ihn. Er hockte vor einem Mann, der auf der Bank seine Mahlzeit ausgebreitet hatte, Wurststullen, das Butterbrotpapier glänzte vor Fett. Gerade nahm der Mann eine Bierflasche auf und setzte sie an. Zeppelin beobachtete ihn mit treuestem Hundeblick. Der Mann trank und setzte die Flasche ab. »Eurer?« fragte er. »Scheint ’n richtijer Jachthund zu sein, wat? Ick sage euch, so wat verkümmert in de Stadt. Kiekt mal, wie der hinter meine Stullen her is. Jesetzt der Fall, ick jeb ihm ’ne Käsestulle, wa? Ick hab zufällich keene Käsestulle, aber wenn ick nu eene hätte? Der Hund frißt Käse,denn riecht er nüscht mehr. Für die Jacht unjeeignet. So ’n Hund verliert den Jeruchssinn. Na ja. Vielleicht nich von eene einzije Käsestulle. Aber auf die Dauer. In de Stadt verderben se die Hunde. Wie heeßt er denn?«
»Zeppelin.«
»Zeppelin? Det is mir vielleicht ’n Name for ’n Hund. Wem is det einjefall’n? Kann er fliejen?«
»Er heißt eben so. Natürlich kann er nicht fliegen«, sagte Joachim und nahm Zeppelin beim Halsband. »Er hieß so, als wir ihn bekamen.«
»Vielleicht kann er wirklich fliejen«, brummelte der Mann. »So jenau kann ick det nich sehen, ick hab mir jestern uff meene Brille jesetzt, und nu isse hin. Hier, een Happen von meene Wurststulle, is beste Mettwurst von Jebrüder Jroh. Und nu haut ab.«
Zeppelin schnappte sich den Bissen. Wir nahmen ihn an die Leine. Erst jenseits der Unterführung ließen wir ihn frei.
»Heute ist was fällig«, sagte Joachim. Er wußte nicht, wie recht er hatte. In der Laubenkolonie Tausendschön lebten unsere Feinde. Ein gewisser Wilfried hatte eine Bande gebildet. Wilfried Wumme nannten sie ihn, er spielte bei der Jugendmannschaft der »Wespen« Fußball, seine Elfmeter, als Wummen bezeichnet, galten für unhaltbar.
Eine Weile hatte Waffenstillstand geherrscht. Doch seit wir Sirene, den Kleinsten von Wummes Bande, geschnappt hatten, war Wumme wieder hinter uns her. Wir hatten Sirene den nackten Hintern mit Akazienruten versohlt. Er schrie mörderisch, machte seinem Namen Ehre, das Geschrei stand in keinem Verhältnis zu dem Schmerz, den wir ihm zugefügt hatten. Sirenes Abgang war filmreif, er ließ die Hosen baumeln, hielt sich mit beiden Händen die Hinterbacken und schrie, während er mit winzigen, von der baumelnden Hose gehemmten Schritten der Laubenkolonie entgegentaumelte. Wir hatten uns nicht allzulange an dem Anblick weiden können, Sirenes Geschrei hatte Wummes Bande alarmiert. Damals waren wir ihr entkommen, aber wir wußten: Kriegszustand herrschte.
Nun hätten wir einen Umweg machen können. Doch in unseren Köpfen ging nichts anderes rum als der Gedanke, an die Filme im Schützenhaus heranzukommen. Wir trabten den Sandweg entlang, zwischen den Akazien. Weit voraus hörten wir Zeppelin kläffen. Ich fürchtete mich vor der Brücke über den Graben.
In der Schule hatten wir ein Gedicht gelernt, in dem eine Brücke vorkam, die einstürzte, wenn Kinder gelogen hatten. Ich hatte das Gedicht ernst genommen. Aber die Brücke über den Graben würde nicht einstürzen, wenn ich sie nur mit einer Lüge im Herzen betrat, das glaubte ich fest. Doch sie hieß unter den Vorstadtkindern auch »Wilfried-Wumme-Brücke«. Der Name deutete auf Eigentumsrechte hin, das war Wilfrieds Brücke, er beherrschte sie, ihm oblag es, den Steg nach Belieben zu sperren oder freizugeben.
»Joachim«, rief ich. Doch mein Bruder zockelte durch den grünen Tunnel, in einer Art Hundetrab, den er Zeppelin abgeschaut hatte, Sand stob auf unter seinen Sohlen.
»Joachim!«
Seine Filme. Warum ließen wir sie nicht in dem Karton? Ohnehin würden wir nie einen Apparat besitzen, mit dem wir sie sehen könnten. Noch mehr Pinguine und Eisbären auf beschädigtem Zelluloid. Andere Jungen stellten Rauchbomben damit her, man wickelte die Filmstreifen fest in Papier, zündete ein Ende an, und die Rauchfahnen, die sich durch das langsame Glimmen entwickelten, erschreckten Lehrer und Nachbarmädchen.
Die Brücke. Wenn Wilfried und seine Komplizen uns schnappten, würden sie jene Mißhandlungen an Joachim und mir rächen, die wir Sirene hatten angedeihen lassen.
Der Weg öffnete sich. Ans Brückengeländer gelehnt, stand Wumme. Er paffte eine Zigarette, die er, zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt, ruckartig zum Mund führte. Hinter ihm lehnten zwei andere Jungen aus der Kolonie in ähnlicher Haltung am Geländer, sie ahmten Wumme nach, doch die ungeheure Lässigkeit
Weitere Kostenlose Bücher