Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
Vom Netzwerk:
sagte Anneli. Mein Vater beruhigte sie: »Faßbrause wird auch ausjeschenkt.«
    Tante Deli faßte sich an ihren Dutt. »Wenn das man gutgeht.«
    Sternchen Siegel kam mehrmals täglich, nahm Aufträge entgegen. Worum es sich im einzelnen handelte, erfuhren wir nicht, eine Menge Wörter fielen, mit denen sich für uns keine Vorstellung verband. Wir wußten lediglich, daß Sternchen die Schlüssel zum Schützenhaus besaß.
    Wie aber an die Schlüssel rankommen? Und wie den Stubenarrest umgehen? Sollten wir Sternchen zu unserem Komplizen machen? Diese Filmangelegenheit war für Joachim und wider Erwarten auch für mich in einen Bereich hoher Wichtigkeit gerückt. Vielleicht hätten wir einfach fragen sollen: »Da ist ein oller Karton mit Filmen. Können wir die haben?« Aber das fiel uns nicht ein. Tiefer und tiefer verstrickten wir uns in unsere Geheimnistuerei.
    Joachims Dunkelkammer diente uns als Zentrale für unsere konspirativen Sitzungen. Ungestört blieben wir dort jedoch nicht. Tante Deli legte in berechtigtem Mißtrauen Kontrollgänge ein, sie schlich die Treppe hinunter, stand überraschend in der Tür. »Da seid ihr«, sagte sie, als habe sie uns überall sonst vermutet, nur nicht hier. »Und die Schularbeiten?«
    Sie erwartete keine Antwort. Nach wie vor pfiffen wir aufdie Schularbeiten, und sie wußte es. Ein stillschweigendes Abkommen: ihre Frage, keine Antwort.
    Auf der Leine über dem Spülbecken hing an Klammern das Foto von der Libelle, irgendwann hatte Joachim es aus dem Wasser genommen und aufgehängt, seine letzte Vergrößerungsarbeit. Der Apparat war auseinandergenommen, die Optik in ein Gestell eingefügt, das einem verkleinerten Schiffshebewerk glich. Wir schraubten an diesem Apparat, bastelten eine Transmission, zweckentfremdeten die Kurbel vom Grammophon im Wohnzimmer, das fiel niemandem auf, keiner spielte Schallplatten. Doch der Projektor funktionierte nicht. Entweder haperte es mit dem Filmtransport, oder die Lampe war zu schwach, oder die stärkere Lampe setzte den Film in Brand.
    Und die Filme im Schützenhaus? Die Erwachsenen, meinten wir, hätten genügend Gründe, die Wohnung zu verlassen. Der Hund mußte ausgeführt, das Schützenhaus besichtigt, die Brauerei besucht weren. Außerdem waren wir jetzt Groß-Berlin. Fast vier Millionen Einwohner. Das Leben tobte, auf dem Kurfürstendamm, Unter den Linden, Friedrichstraße, wir lasen es täglich in den Zeitungen, die sich in Stapeln häuften, neben dem Bett meines Vaters und auf der Anrichte.
    Er liebte Zeitungen, glaubte wohl auch ein bißchen, was darin stand. Aus dem Felde hatte er damals Tante Deli angewiesen, Kriegsanleihen zu zeichnen, Walter Rathenau, zu der Zeit Präsident der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft, hatte in der Zeitung geschrieben: »Schmiedet die goldene Rüstung dem Arm, der das stählerne Schwert führt!«
    Sie saßen um den Tisch unter dem Kronleuchter, statt auszugehen. Unser Vater kaufte Schnaps. »Ich lagere den ein«, sagte er. »Saufen tun sie immer.«
    Aktivitäten, die unsere Zukunft im Schützenhaus betrafen. Eine Zukunft, die wir uns nicht vorstellen konnten. Wir dachten an die Filme. Tante Deli ging einkaufen, während wir in der Schule die Stunden absaßen. Den Stundenplan hatte sie besser im Kopf als wir. Rechtzeitig war sie vom Markt in der Spandauer Straße zurück, um unsere Ankunft zu kontrollieren. DenHund führte Anneli aus. Sie bekam sogar ein Extrataschengeld dafür. Wir hatten das, wie Joachim es wütend formulierte, »gratis und franko« getan.
    Anneli spielte Hundefamilie. Ein Stoffhund, weiß mit schwarzen Ohren und hartem Holzwollebauch, war das Kind, wurde in Puppenkleider gehüllt, im Puppenwagen umhergeschoben. Zeppelin war der Vater, Anneli die Mutter. »Dir wird ‘ne Hundeschnauze wachsen«, spottete ich.
    »Leck mich«, sagte Anneli, sie lernte solche Ausdrücke von Lieschen, der Portierstochter in unserem Haus.
    Zeppelin wußte wenig mit seiner Vaterrolle anzufangen, er beschnüffelte den Puppenwagen, in dem der Stoffhund lag, stellte jedoch per Duftsynthese fest, daß er sich zur Vaterschaft nicht bekennen mußte. »Du blöder Zellepin«, rief Anneli, »siehst du nicht, daß hier dein Kind liegt?« Zeppelin sah es nicht. Er kroch unters Bett, sobald unser Vater sich hineinlegte, und steckte die Schokonase hervor.
    Joachim meinte, wir müßten die Schule schwänzen. »Was hast du Mittwoch in der letzten Stunde?«
    Ich sah auf den Stundenplan: »Geschichte. Die Reichsgründung

Weitere Kostenlose Bücher