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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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3
    »Ratten«, brüllte mein Vater. Er warf den erkalteten, zerkauten Zigarrenstummel in den Aschenbecher. »Womit habe ich das verdient!«
    Wir standen vor ihm, Joachim mit verschmierter Brille. Die Sonne schien schräg ins Schlafzimmerfenster. Mein Vater saß im Bett und betrachtete uns. Ach, wäre es doch ein trüber, dunkler Tag gewesen, ein Novembertag mit Regenwolken. Statt dessen diese strahlende Abendsonne, die uns wie ein Scheinwerfer beleuchtete.
    Hinter uns, natürlich an den Türrahmen gelehnt, stand Tante Deli. »Ich hab’ gleich gesagt, sie taugen nichts«, sagte sie. »Seit ihre Mutter tot ist, tun sie, was sie wollen. Du kümmerst dich nicht genügend um deine Jungen, Walter. Sie verkommen.«
    »Du?« rief mein Vater. »Du fällst mir in den Rücken?«
    Hinter Tante Deli sah ich, im Halbdunkel des Eßzimmers, Anneli. Sie stand auf einem Bein und popelte in der Nase. »Stubenarrest«, sagte mein Vater. »Eine Woche Stubenarrest.«
    »Wie sieht der Köter aus«, schimpfte Tante Deli. »Ich muß die ganze Schweinerei wieder in Ordnung bringen. Und Hansi! Ihr seid richtige Ferkel.«
    »Der kleene Hansi ist ein Ferkel«, schrie Anneli. Ich warf das Rechenbuch nach ihr, das auf dem Tisch unter dem vermaledeiten Kronleuchter lag. »Wasch lieber die Töle«, schrie ich zurück.
    »Ruhe im Beritt«, brüllte mein Vater. Manchmal unterliefen ihm, Gewohnheit aus seiner Kavalleristenzeit, militärische Ausdrücke. Ich hörte, wie Anneli in ihrem Zimmer, hinter geschlossener Tür, zwitscherte: »Hansi mit dem kleinen Schwansi…«
    Konspirative Überlegungen hielten uns die nächsten Tage in Atem. An der Tür war mit Reißnägeln der Stundenplan befestigt, von Tante Deli einsehbar. Sie wußte, wann wir Schulschlußhatten und zu Hause eintreffen würden. Von diesem Augenblick an begann übergangslos unser Hausarrest. Wir wollten uns aber unbedingt die übrigen Filmrollen aus dem Schützenhaus beschaffen.
    Hoffnung schöpften wir durch die Tatsache, daß die Erwachsenen immer öfter ihre Köpfe zusammensteckten und, wie Joachim es nannte, »die Zukunft besprachen«. Wenn ich mir das heute, in der Erinnerung, zusammenreime, beschäftigte sie die bevorstehende Inflation. Mein Vater meinte, man müsse alles verfügbare Geld anlegen, sogar Bankschulden machen. Das löste bei Tante Deli Monologe etwa folgender Art aus.
    »Woher willst du Geld nehmen? Hättest du nur nicht Kriegsanleihe gezeichnet. Das Geld ist futsch. Ich frage dich nicht, wieviel du verloren hast, geht mich nichts an. Mir ist jedoch nicht entgangen, daß auf den Häusern Hypotheken liegen. Wir sparen, wo wir können. Die Mieteinnahmen, da will ich lieber nicht von reden. Ich bin nicht auf den Kopf gefallen. Weiß ja auch, was du mir für den Haushalt gibst. Wenn du von den Einnahmen die Hypothekenzinsen bezahlen kannst, kannst du froh sein, oder? Und wovon willst du das Schützenhaus bezahlen? Die Brauerei gibt Kredit? Wofür gibt sie Kredit? Fürs Bier. Vielleicht stiftet sie dir ein Dutzend Gläser. Und ein Wirtshausschild. Hast du bereits bestellt? Wer zahlt das? Geht mich nichts an. Ich weiß, ich weiß, du kaufst das Schützenhaus nicht, du pachtest es. Und wenn keiner kommt? So weit draußen. Wer will da sein Bier trinken? Die Leute gehen in die Kneipe an der Ecke. ’ne Molle mit Korn. Boulette. Solei. Bis Schützenfest ist, wird das Bier mulsch. Mensch, Walter! Siehste denn das alles nicht?«
    »Doch, doch …« Mein Vater saß aufrecht in seinen Kissen.
    »Und dann der Umbau«, fuhr meine Tante fort, wobei sie Stand- und Spielbein wechselte. »Wer soll das bezahlen? Wenn wir in den Räumen oben wohnen sollen, müssen die Maler kommen. Gleich ist Winter. Wer bezahlt den Koks? Und glaub ja nicht, daß ich dir den Dreck wegmache. Du brauchst Personal, für die Schank, einen Kellner. Wenn nichts läuft, hauen dieab. Also mußt du dir was einfallen lassen. Meinste, du kannst weiter im Bett liegen wir dieser Oppusoff ?«
    »Oblomow«, korrigierte mein Vater.
    In der Tat saß er bald mehr am Tisch unter dem Kronleuchter, als daß er im Bett lag. Von der Brauerei kam manchmal ein Vertreter, und sie rechneten. Es war nicht mehr Berliner Kindl, wie man hätte meinen können, wenn man an das schief hängende Reklameschild am Schützenhaus dachte. Mein Vater hatte sich mit Schultheiß Patzenhofer verbündet.
    Warum?
    »Das Bier schmeckt mir besser«, sagte er. »Persönlicher Geschmack. Nischt gegen Berliner Kindl.«
    »Ich will Faßbrause haben«,

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