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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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sehen war. Wir hatten den Film nach einer Woche zurückziehen müssen. Später wurde die Schauspielerin unter dem Namen Hedi Lamar in Hollywood berühmt.
    Sachwalter Timm hatte in der ersten Vorstellung gesessen, sich aber nicht geäußert. Als ich Sternchens Anteil übernommenhatte, gratulierte er mir. »Ich hoffe, Sie sind sich Ihrer Aufgabe bewußt«, sagte Herr Timm. »Denken Sie daran, wie unser Reichsminister darüber denkt. Ich überlasse Ihnen hier den Wortlaut der Rede des Präsidenten der Reichsfilmkammer. Mögen diese Worte Ihnen eine Mahnung sein.«
    Damals begann ich mit dem Einrichten eines Archivs. Einige der blauen Mappen, in denen ich Zeitungsausschnitte, Filmbilder und anderes ordnete, sind erhalten geblieben. So kann ich jetzt, so viele Jahre später, den Text über »Die Reiter von Deutsch-Ostafrika« zitieren. Über die Rede des Reichsfilmkammerpräsidenten finde ich einen Ausschnitt aus der »Frankfurter Zeitung«:
    Grundsätzlich stellte dann Dr. Scheuermann fest, das künstlerische Ziel der Reichsfilmkammer sei nach den Richtlinien des Reichsministers Dr. Goebbels der absolute Film, ein künstlerisch, musikalisch, völkisch und technisch selbständiges Kunstwerk. Wir wollen nicht weiter einen Film haben, der ein Abklatsch abgespielter Operetten und dergleichen ist. Gegenüber der ausländischen Boykottpropaganda ist festzustellen, daß gewiß auch weiter die Schaffung großer nationalsozialistischer Propagandafilme erstrebt wird…
    Der Originalwisch, den mir Timm damals überreichte, ist nicht mehr erhalten. Ich erinnere mich aber, daß er mit diesem Getöne endete. Jetzt, als ich den Ausschnitt aus der »Frankfurter Zeitung« las, fand ich heraus, daß der Text weiterging und Erstaunliches konstatierte: Diese Propagandafilme, hatte Scheuermann gesagt, seien Sache des Inlands. Der Nationalsozialismus sei nach den Worten des Führers keine Exportware. Dagegen solle Exportware der deutsche Film werden, der sich als Kunstwerk internationale Geltung und Anerkennung verschaffe.
    Erst heute, nach so langer Zeit, wird mir klar, weshalb wir immer wieder Filme fanden, die in unseren Augen spielbar waren und gegen die Sachwalter Timm nichts einwenden konnte. Ich denke an Paul Martins »Glückskinder« mit dem Aussteiger-Schlager »Ich wollt’, ich wär’ ein Huhn«. Um nur einen Film zunennen. Die Kintoppbesucher amüsierten sich, sie erkannten die Tendenz. Laubenpieper – sie machten den Hauptanteil unseres Publikums aus – waren keine Nazis.
    Doch ich schweife ab. Großmutter hat Besseres verdient in diesem Augenblick als die Schilderung jener Zustände. Ich kann meine Gedanken nicht anders erklären, als daß sich die Atmosphäre jener Fahrt über den See wiederum aufdrängt. Die Fahrt glich einer gewaltigen Pause. Und in dieser Pause hatten zum ersten Mal diese Überlegungen Platz, die mit meinem eigenen Schicksal – wenn dies Wort nicht zu hoch gegriffen ist – zu tun hatten: mit den Aufgaben meiner Laufbahn als Modellbauer, als Segelflieger, vielleicht – Silbercondor über Feuerland! – als Motorpilot.
    War meine Entscheidung richtig? Konnte ich überhaupt beurteilen, ob sie richtig war? Vielleicht war ich meinem Bruder auf den Leim gegangen, seinem Charisma erlegen.
    Auch dieses Wort: zu hoch gegriffen? Wichtigkeit, das bißchen Vorstadt-Kintopp. Dies jedoch war unsere Welt und keine andere. Und sie wurde von Joachim und seiner Ausstrahlung geprägt. Einer Ausstrahlung, die für diesen Kintopp und für uns alle genügte und ausschlaggebend war.
    Die Boote glitten nun mitten auf dem See. Im Osten stieg die Sonne als Feuerball über das Schilf, nur noch Flecken von Nebel hingen über dem Wasser. Eine leichte Brise, die wie jeden Morgen aufkam, trieb sie davon. Ich wendete mich um. Weit hinter uns lag am Ufer das Haus der Großeltern, von den Strahlen der Sonne vergoldet. Die Verandafenster blitzten, als sendeten sie Signale.
    Wir landeten. Ein Leichenwagen, mit Pferden bespannt, stand bereit. Die Männer luden den Sarg um. Anneli und ich gingen den anderen voran, traten ein in den alten Klostergarten. Unter alten Linden ein Haus mit Spitzbogenfenstern. Ob hier immer noch Stiftsdamen lebten? Die Fenster waren mit Gardinen verhangen. Nichts rührte sich. Von Efeu berankt, ragte die Wand des alten Konventsgebäudes auf.
    Ruinen. Lindow liegt zwischen zwei Seen. Wir blickten hinausauf den Wutzsee, bevor wir zur Kirche rübergingen. Der Leichenzug hatte wegen des Bahndamms, den wir zu Fuß auf

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