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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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kürzestem Weg überquert hatten, einen Umweg machen müssen. Wir warteten. In den Kronen hoher Pappeln rauschte der Wind.
    Der Zug bog um die Ecke. Auf den Köpfen der beiden Rappen, die den Wagen zogen, schwankten schwarze Straußenfedern. Schwarz alles, so schwarz. Wo war jene Heiterkeit geblieben, wo jene Wärme, die Großmutter ausgestrahlt hatte, solange wir wußten?
    Uns fröstelte.

17
    Damals stellten Jungs die Kegel auf, sie verdienten sich ein Taschengeld, wenn Wilfried und seine Bande zu Dauertournieren antraten. Heute stellen sich die Kegel automatisch auf. Hätten wir diese Methode erkannt oder vorausgeahnt, so wurden wir gesagt haben: Sie stellen sich um uns her auf wie die Kegel.
    Gemeint waren alle möglichen Funktionäre und Anhänger der neuen Weltanschauung. Sachwalter Timm erschien, einem Wandelstern gleich und schließlich berechenbar, um Gratulationen oder Rügen anzubringen oder uns nahezulegen, in die stets geöffneten Arme einer Organisation zu stürzen.
    »Wieviel haben Sie bezahlt? Zwanzigtausend?« fragte er und meinte Sternchens Anteil. »Für die Hälfte, für ein Viertel hätten Sie’s bekommen können. Merken Sie nicht, woher der Wind weht? Bleiben Sie verbohrt? Begreifen Sie nicht, was unser Führer von Ihnen verlangt?«
    Er nahm sich Joachim oder mich einzeln vor, wie er uns gerade erwischte, im Kinosaal, im Vorführraum, draußen bei den Ställen. Joachim berichtete mir, ich berichtete ihm, so wußten wir, daß Timms Methoden die gleichen blieben. Vor meinem Vater scheute er zurück.
    Die Norne ließ ihre Zöpfe durch die Finger gleiten und zog die Oberlippe hoch. Eine ihrer guten Taten durfte erwartet werden. BDM-Mädchen trafen ein, Schrubber und Zinkeimer am Fahrrad, und schrubbten den Saal.
    »Wer hat euch aufgefordert?« fragte Joachim. Sie flöteten: »Isabella.«
    Zur Rede gestellt, erklärte Isabella, daß es zu ihrem Glauben an Deutschland gehöre, sich gute Taten auszudenken und diese mit Hilfe ihrer Mädelschar durchzuführen. Wir lachten über die Verquickung von Schrubber und Großdeutschland, als Joachim berichtete, und er schien es auf die leichte Schulter zu nehmen. Schließlich verlor er die Geduld und jagte Isabella davon.
    »Sie ist über den Jordan«, meldete er, sich der leichtfertigen Ausdrucksweise jener Zeit bedienend.
    Dort blieb sie nicht lange. Wenige Tage später sah ich ihr Fahrrad wieder am grünen Waggon lehnen, und Dr. Eckener schwänzelte am Fuß der Treppe.
    »Sie ist wieder da?« fragte ich.
    Verlegen meinte Joachim: »Was soll ich tun. Wenn sie fort ist, vermisse ich sie.«
    Um beim Vergleich mit den Kegeln zu bleiben: Anneli berichtete, daß auf dem Gut mit mindestens sechsunddreißig Kegeln auf vier Bahnen gespielt würde. Einen der im Wäldchen hinter dem Gut liegenden Ställe hatte die Reiter-SS gemietet. Mitglieder der Reiter-HJ wurden von Anneli und den anderen Reitlehrern in die Grundgeheimnisse des Reitsports eingewiesen. Die Partei veranstaltete Kurse, schwere Sachwalter wie unser Timm schwangen sich in die Sättel.
    Neuerdings hatte die Organisation »Kraft durch Freude« angefragt, ob Reitunterricht in ihr Freizeitprogramm eingebettet werden könne, »zur Ertüchtigung des Körpers«.
    »Ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper«, sagte Anneli, »diesen Spruch haben sie an die Wand der Reitbahn gemalt. Die ehemalige Gutsschenke ist Kantine, da steht der Spruch noch einmal. Dabei solltest du die Fettsäcke von Goldfasanen sehen, wie sie auf die Pferde kriechen.«
    »Defätistische Bemerkung«, sagte Tante Deli. »Ich weiß nicht, ob sie in Oranienburg Frauen einsperren. Aber wenn du so weiterredest, werden sie mit dir anfangen.«
    Anneli grinste: »Sie sind überbelegt«, sagte sie, »Man kann eine Lippe riskieren.«
    »Versündigt euch nicht«, sagte mein Vater. »Man muß dem Kaiser geben, was des Kaisers ist.«
    Anneli wurde wütend. Sie konnte von einer Sekunde zur anderen wütend werden, sogar jähzornig. Von Tante Deli, ihrer Mutter, hatte sie die Kunst des Monologisierens gelernt.
    Sie stützte die Arme auf die Hüften: »Gib doch dem Kaiser, was des Kaisers ist, Husar«, giftete sie. »Schaff ihm ein paar SterHolz nach Doorn. Und hilf ihm Holzhacken. Zwei Husaren, der Kaiser und sein Leibhusar! Damit kommst du in die ›Berliner Illustrierten‹. Merkst du nicht, daß du aus der Mode kommst? Hat meine Mama dir das nicht geflüstert? Hat sie es versäumt, wenn ihr in eure Bettenburg hastet? Du bist ein Selbstbetrüger,

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