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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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die nasse Hand heraus und legte sie auf meine. Ich wischte die Tropfen nicht ab, obwohl ich, aus gegebenem Anlaß, ein blütenweißes Taschentuch mit mir führte. Die Kühle des Wassers drang durch die Haut.
    In Edes Chevrolet waren wir durch die Dörfer gefahren. Statt des hohen Korns, wie wir es aus Ferienzeiten kannten, breiteten sich Stoppelfelder zu beiden Seiten der Chaussee. Es war Ende September, noch warm, aber in den Kronen der Laubbäume schimmerte erstes Gelb. Die Chausseebäume warfen lange Schatten an der von der Sonne abgewandten Seite, bis weit auf die Stoppeln. Kinder ließen Drachen steigen.
    Alles war diesmal anders. Das lag nicht nur daran, daß wir zu Großmutters Beerdigung unterwegs waren. Ede Kaiser, der uns immer mit heiteren Reden unterhalten hatte, brütete am Steuer vor sich hin. Man hatte ihm zwar seine Taxen nicht genommen, doch trugen zwei Wagen ein T im weißen Kreis, das heißt, sie durften nur in der Tagschicht eingesetzt werden. Die andere, mit einem N, verkehrte nur in der Nachtschicht. Einnahmenausfall von fünfzig Prozent bedeutete das. Es war eine Frage des Wohlwollens, ob »die Innung« es dabei belassen würde.
    Den kleinen Karl hatte Ede diesmal nicht mitgenommen, Karl ging bereits zur Schule.
    Am Nachmittag waren wir eingetroffen. Jetzt, zwei Tage später, fuhren wir über den Gudelacksee. Großmutter hatte sich das gewünscht. Bei ihrem letzten Besuch hatte sie gesagt: »Kinder, wenn ich einmal sterbe, fahrt mich auf einem Bootnach Lindow hinüber.« Niemand hatte geglaubt, daß ihr Wunsch so bald erfüllt werden müßte.
    Der Berliner Vorort, in dem wir lebten, kam mir, von hier aus gesehen, schmuddelig vor, das Schützenhaus nicht minder. Es war nicht unsere Schuld. Andere brachten den Schmutz herein. Sachwalter Timm zum Beispiel. Immer wieder war er gekommen, hatte sich erkundigt, harmlos scheinbar, doch mit jenem eisernen Willen, der die neuen Funktionäre auszeichnete. Die Partei vertraute nur Menschen, die entschlossen die neue Weltanschauung durchdrückten.
    Die Ruder tauchten ein, ohne Takt. In jedem Boot tat der Ruderer, was er wollte. Nur das langsame Tempo behielten sie bei, wie der Schlagmann auf dem ersten Boot es angab. Dem Boot, das den Sarg trug.
    Bilder aus jenen ersten Jahren der neuen Ära, die bereits herum waren, zogen durch mein Gedächtnis. Eines Abends hatte uns Isabella, die wir nun »die Norne« nannten, eine Zeitschrift auf den Tisch gelegt: »Seht, wie man es falsch machen kann«, hatte sie gesagt, in der Kürze, die sie liebte.
    Die Zeitschrift, sie nannte sich »Deutsches Volkstum«, brachte eine Besprechung des Films »Die Reiter von Deutsch-Ostafrika«. Darin hieß es:
    Der Film, der unter dem Protektorat des Reichskolonialbundes gezeigt wird, ist rein technisch meisterhaft. Die afrikanische Landschaft, der Kleinkrieg im Busch und manche andere Dinge sind sehr lebendig dargestellt und vermögen jugendliches Abenteuer- und Kriegerherz zu packen.
    Um so ärgerlicher ist es, daß eine solche Darstellung harter, bitterer und ehrenvoller Taten mit sentimentalem Schmalz, falscher Erotik und sonstigen Unangemessenheiten durchsetzt ist. Daß ein deutsches Mädchen auf einer Safari (Karawanenreise) zu ihrem Verlobten den Angriffen eines halbasiatischen Wüstlings ausgesetzt sein soll, ist gänzlich unafrikanisch – was soll die Szene in einem afrikanischen Film? Wenn deutsche Krieger in bestimmten Kriegssituationen vor seelischen Qualen und vor Durst fast vergehen, so mag man das andeuten. Aber derartiges durch grimmassierende Schauspieler – Großaufnahmen – möglichst realistisch zur Darstellung bringen zu lassen, ist eine Entwürdigung.
    Joachim lachte. Zum ersten Mal war es ein höhnisches Lachen. »Die richten sich selbst«, sagte er. »Mit diesem Stil. Wer liest das?«
    Der Stil wurde schlimmer mit der Zeit. Und kaum jemand nahm Anstoß. Werner meinte, wir sollten uns als Spezialkino für Hans Albers und Harry Piel einen Namen schaffen: »Das wollen die Leute hier sehen. Alle. Die aus der Laubenkolonie und jene, die ihre Stinkmützen auf die Tische schmeißen. Zu Harry Piel gehen sie alle, wenn der seinen Ölkopp in den aufgerissenen Rachen von so einem Wüstenkönig steckt. Die brüllen vor Vergnügen.«
    »Und die Kinder brüllen aus Angst.«
    »Das müssen wir nicht unterscheiden, Joachim. Einmal mehr oder weniger gebrüllt, wer fragt danach? Der Eintritt bleibt derselbe. Kinder und Militärs zahlen die Hälfte. Militär haben wir wieder

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