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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Morgen: tot. Ich kann es immer noch nicht glauben.«
    Der Lindower Arzt war auf Besuchstour gewesen, so hatte man den Kollegen aus Neuruppin gerufen. Opa sagte, der Mann — er nannte ihn Quacksalber – habe umständlich Auskunft gegeben, Zusammenhänge erklärt zwischen Übergewicht und jenem Herzversagen, das zum Ableben geführt hatte. Sie sei, Opa zitierte wörtlich, »im Schlafe hinübergegangen. Hinübergegangen. Welch ein Ausdruck.«
    Onkel Rudolph hatte sich um alles gekümmert. »Ich habe hier gesessen und gewartet. Seit gestern sitze ich hier. Na, ein paar Stunden habe ich geschlafen, auf dem Sofa. Ich werde mich rasieren müssen.«
    Wir saßen und standen um Großvater herum wie düstere Vögel, jener Geruch nach Mottenpulver, mir von anderen Gelegenheiten, die dunkle Kleidung verlangten, bekannt, verbreitete sich im Raum. Laura und ihre Mutter waren gekommen, auch sie trugen Schwarz, ihre Gesichter leuchteten blaß. Unbeholfen verharrten wir, während Großvater berichtete. Ich hatte Großmutter liegen sehen, in dem inzwischen herbeigeschafften Sarg. Sie wirkte fremd ohne ihre Brille. Erst jetzt fiel mir auf, daß ihre Haare weiß geworden waren. Ihre Wangen hingen ein wenig herab, es schien mir, als wolle sie ein letztes Mal sagen: »Ach, ihr.«
    Ein bißchen mürrisch vielleicht, weil sie sich von uns alleine gelassen fühlte? In den gefalteten Händen hielt sie einen Myrtenstrauß, Tante Deli hatte ihn mitgebracht, geistesgegenwärtig von ihren Topfpflanzen abgeschnitten, die im Schützenhaus wuchsen, für den Zweck, Schmuck zu liefern bei Hochzeiten und anderen Gelegenheiten.
    Dies war nun eine andere Gelegenheit, Tante Deli hatte nicht versagt. Die bereis vertrockneten Veilchen hatte sie Großmutter aus den Händen gewunden und den Myrtenstrauß hineingesteckt. Das Totenhemd war vielfach gefältelt und gestärkt. Unmöglich schien, daß Großmutter mich je an ihren trostspendenden Busen gepreßt hatte.
    »Warum läßt du uns, Herr, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, daß wir dich nicht fürchten?«
    Immer noch trug ich das Kalenderblatt bei mir. Ich nahm es aus meiner Brieftasche und legte es in den Sarg.
    Gemächlich bewegten sich die Kähne über den Gudelacksee, einer im Kielwasser des anderen. Die Ruder tauchten ein. Es war still. Nur das Geräusch der Ruder und hin und wieder der Schrei einer Wildente, die aus dem Schilf aufflog. Die Insel mit ihrem Ziegeleischlot lag wie ein Scherenschnitt gegen den heller werdenden Himmel. Anneli, auf der schmalen Bank neben mir, preßte sich an mich. Sie trug einen Hut mit einem winzigen Schleier. Hinter dem Schleier sah ich ihre Augen aufblitzen.
    Zeit. Viel Zeit.
    Die Ruderer des Beerdigungsinstituts beharrten auf ihrer Vorstellung von Würde. Langsam glitten die Boote dahin. Zeit, um allen möglichen Gedanken nachzuhängen. War es blasphemisch, wenn ich dachte, daß Großmutter im richtigen Augenblick »hinübergegangen« war? Eine Epoche war beendet, für Joachim, für Anneli, für mich – unsere Kindheit und Jugend. Für meinen Vater und Tante Deli eine Zeit, in der sie annahmen, nun, nach dem Weltkrieg, würde ein neues, schöneres Leben beginnen auf der Basis ihnen vertrauter Traditionen, die im sogenannten Preußentum wurzelten. Ein wichtiger Einschnitt war damals sicher der Tod unserer Mutter gewesen. Aber das Leben war weitergegangen, Tante Deli und mein Vater hatten einander gefunden, eine Vereinbarung getroffen. Zusammen, dachten sie, würden sich die kommenden Jahrzehnte meistern lassen.
    Jetzt war das alles zweifelhaft geworden. Jene Epoche des Preußentums beendete Hindenburgs Tod. Auch er war »hinübergegangen«, hatte sich zu jenen versammelt, die von den Husaren als Helden bezeichnet wurden. Helden von Vionville und Sedan, von Langemarck, Verdun und Tannenberg.
    Daß eine neue Zeit angebrochen war, merkten wir täglich. Menschen, die wie Vater dachten, schlossen sich den Anschauungen der neuen Herren nicht ohne weiteres an. Bereits derWeimarer Republik und ihren Erscheinungen hatten sie skeptisch gegenübergestanden. Aufrecht, unbelehrbar. Mit verschlucktem Ladestock. Doch waren sie ungestört geblieben.
    Die neuen Machthaber dachten nicht daran, sie in ihrer Idylle zu belassen. Sie nicht und uns nicht, ihre Kinder, die wir zwar alles lockerer sahen, dennoch geprägt waren.
    Hatte Großmutter das alles gesehen? War sie deshalb von uns gegangen? Im richtigen Augenblick?
    Anneli ließ eine Hand ins Wasser baumeln. Sie zog

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