Das Schützenhaus
eine Menge. Und die Geburtenfreude wird staatlich gefördert. Robinson, ab heute trinke ich keine Mollen mehr. Ab heute trinke ich Liter. Verstanden? Liter!«
Robinson verbeugte sich.
Werner war uns ein Trost. Er erzählte als einziger noch Anekdoten. Wie Hans Albers entdeckt wurde: In der Komischen Oper sprang er in einer Szene vom Kronleuchter, in ein gefülltes Wasserbecken. Aber richtig froh und leicht lachte keiner mehr darüber. Alles wurde nun ernst genommen. Werner Spiehr sorgte dafür, daß wir ab und zu die Mundwinkel verzogen.
Wie war es mir ergangen? Hatte ich, entsprechend den Möglichkeiten bei Flug-Wuttke, meine Talente, meine Arbeitskraft zur Verfügung gestellt: Saß ich am Steuerknüppel eines Segelflugzeugs, das die Aufwinde hoch hinauftrugen in den blauen Himmel über Deutschland, demnächst Großdeutschland? Zierten drei weiße Schwingen auf blauem Grund meinen Ärmel als Zeichen der abgelegten C-Prüfung?
Ach, nichts dergleichen. In den Sog der Leidenschaft war ich geraten, die meinen Bruder erfüllte. Joachim hatte, als mein Vater sich anschickte, den überteuerten Anteil Sternchen Siegels von der Verwaltung nichtarischen Vermögens zurückzukaufen, vorgeschlagen, ich solle den Anteil übernehmen und in die Kinogesellschaft eintreten.
»Ich?« hatte ich empört gerufen, »nichts liegt mir ferner.«
Joachim schwieg. Er wußte, daß ich schmorte. Allzusehr war ich in diese lausige, familieneigene Unternehmung verstrickt, die im Handelsregister unter der Bezeichnung »Schützenhaus-Lichtspiele offene Handelsgesellschaft« firmierte und nichts anderes war als ein verlottertes Vorstadtkino in einem barakkenartigen Saal.
Wirklich? Nur das? Sah ich nicht, wie Joachim die Welt täglich neu erfand, für unser Publikum? Indem er Filmstreifen auf Filmstreifen heranschaffte? Filme, von denen die anderen Kinos in gleicher Lage nicht einmal träumen durften? Wie er, zuerst mit Hilfe Lehmanns, die Leute vom Verleih einwickelte, daß sie uns die ungewöhnlichen Filme gaben? Wie er die Tonfilm-Apparaturen bekam, dank seiner Verbindungen? Und wie er, trotz Sachwalter und Aufforderung, den »Hitlerjungen Quex« zu spielen, Filme anbrachte, die, manchmal, wenigstens manchmal!, eine versteckte Aussage enthielten? Damit sich die Menschen einen Abend lang wenigstens lustig machen konnten über Kommißköppe oder deutsches Herrentum? Er kannte seine Kunden. Sie lachten da drüben in unserem Flohkino, lauter, befreiter als wir bei Werners Geschichten.
Sagte ich »unser Flohkino«? Bald wußte ich, daß ich verloren hatte.
Ich kündigte bei Flug-Wuttke.
Der Juniorchef war enttäuscht: »Das hätte ich nie von Ihnen gedacht.«
Das Arbeitsamt machte Schwierigkeiten. Ich wies auf die vor mir liegende kulturelle Aufgabe hin. Sie ließen mich ziehen.
Ich übernahm Sternchen Siegels Anteil. Und schuldete meinem Vater zwanzigtausend Mark. Er bestand darauf, daß icheinen Schuldschein unterschrieb. Ein letztes Aufzucken seiner Vorstellung von preußischer Ordnung.
Ich ging zu Joachim und sagte: »Jetzt habe ich Sternchens Anteil. Ich komme mir vor wie ein Dieb. Eigentlich gehört dieser Anteil Sternchen, oder?«
»Darüber habe ich nächtelang nachgedacht«, sagte Joachim. »Die Norne« – er meinte Isabella – »behauptet, so was sei legal. Ich finde nicht, daß es legal ist. Wäre es dir recht, wenn wir davon ausgehen, daß du Sternchens Anteil kommissarisch verwaltest?«
»Damit bin ich durchaus einverstanden«, sagte ich. »Nur habe ich unserem Vater einen Schuldschein über zwanzigtausend Mark gegeben.«
»Das hat er von dir verlangt?«
»Stell dir vor, ja.«
Joachim wälzte seine Zeitschriften von einer Seite des Tisches zur anderen. Rieb sich die Augen unter der Brille. »Der Alte«, murmelte er. Richtete sich dann auf: »Ich stehe mit dafür grade, Hansi. Wie sagt Oma? Kommt Zeit, kommt Rat. Wir werden nicht vergessen, daß dies Sternchens Anteil ist. Was die Piepen betrifft, denke ich, wir können einiges aus dem Kintopp herauswirtschaften. Die Vorstellungen sind fast immer ausverkauft. Und aus den neuen Produktionen werde ich das heraussuchen, was den Laden weiter füllt. Bis andere Zeiten kommen.«
»Du meinst, das geht vorüber?«
»Bestimmt. Und bis dahin gilt Listigsein. Ich habe ihnen ›Ekstase‹ aus der Nase gezogen, bevor die Schnittauflagen kamen. Über dreihundert Meter haben die Banausen herausgeschnitten.«
Er spielte auf den Film an, in dem eine gewisse Hedi Kiesler nackend zu
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