Das Schützenhaus
durch Bismarck. Habe ich schon gelesen.«
»Knorke. Ich habe Musik. Fällt auch nicht auf, kombiniere ich. Wir hauen nach der vierten Stunde ab und holen die Filme.«
»Wir haben keinen Schlüssel fürs Schützenhaus«, sagte ich.
»Schnurz und piepe. Wir lösen ein Brett vorm Fenster. Zur Not schlagen wir eine Scheibe ein.«
Ich steckte die Hände in die Taschen. »Nicht unser Stil, eigentlich.«
»Was heißt hier eigentlich?« sagte Joachim. »Not kennt kein Gebot.«
Doch als wir am Mittwoch beim Schützenhaus ankamen, war alles verändert. Die Bretter vor den Fenstern waren entfernt worden, vor dem Haus lag ein Haufen Kies. Ein Lastwagen fuhr Mörtel an. Die Tür stand offen, auf die Terrasse trat ein Mann in Maurerkleidung, einen grünen Hut auf dem Kopf. »Wat wollt ihr hier?« fragte er.
»Wir sind die Söhne von Herrn Pommrehnke«, sagten wir. »Wir wollen mal gucken.«
»Ach so«, sagte der Mann. Er ging zum Lastwagen. Wir liefen ins Haus, die Treppe hoch, die nun keine düstere Stiege ins Nichts mehr war. Auch durch die Treppenhausfenster drang das Tageslicht. Allerdings waren alle Möbel und Gegenstände aus den Räumen verschwunden und mit ihnen der Karton, in dem die Filmrollen lagen. »Zu spät«, sagte ich. »Jemand ist uns zuvorgekommen.«
»Wer braucht so was? Und wer hat das erlaubt?« Joachim wunderte sich. Er war nicht eigentlich enttäuscht, er wunderte sich. Hatte es nicht für möglich gehalten, daß eine Veränderung derart schnell eintreten könnte.
Wir fragten den Maurer, wo die Möbel hingekommen seien. »Abjeholt«, sagte er. »Von de Müllabfuhr. Heute früh. Jleich kommen die Maler für oben. Und wir, wir fangen mit det Mauern an. Die Küche wird nach oben verlegt.«
Wir standen ratlos herum, bis der Mann sagte: »Jeht uff die Seite, der Kalk spritzt.« Joachim verstand die Welt nicht mehr. Die Filme waren für ihn ein Schatz gewesen, so was wie ein Topf voll Goldstücke, und nun einfach weggeworfen. Auf den Müll.
»Das Vertiko ist auch auf dem Müll«, sagte ich. »Man hätte es zerhacken und Feuer damit anmachen können. Schließlich war es gutes, trockenes Holz. Was meinst du, wie das gebrannt hätte.«
»Du Klammtüte! Ich will versuchen, dir zu erklären, was relativ ist«, sagte Joachim. So sprach er selten mit mir, an sich hielten wir zusammen.
»Relativ?« fragte ich.
»Relativ ist, daß die Filme für uns, für mich wenigstens, einen großen Wert hatten, und für andere Leute hatten sie gar keinen. Schwupp und weg. Was hätte ich alles mit den Filmen anfangen können.«
»Vorausgesetzt, es war was Vernünftiges drauf«, sagte ich. »Vielleicht wieder nur Seelöwen und Pinguine.«
Wir bummelten, weil wir früh dran waren. Schließlich mußten wir zu Hause eintreffen, als wenn wir von der Schule kämen. Der Akazienweg war sicher, Wumme arbeitete um die Zeit, er war Lehrling bei einem Schlosser. Mit den anderen Laubenkindern nahmen wir es jederzeit auf. Wir liefen über die Brücke. Tief saß die Schmach in uns.
Wir stahlen uns in die Wohnung, die Tante guckte auf den Stundenplan und auf die Uhr, in der Ecke vom Eßzimmer stand eine Standuhr. So eine, die alle Viertelstunde gongte. Wir waren davongekommen.
Unser Ausflug ins Schützenhaus hatte jedoch ein Nachspiel. Am nächsten Tag, als wir aus der Schule kamen, saß am Tisch dieser Maurer. Er saß mit meinem Vater da und hatte seinen grünen Hut auf das grüne Tischtuch gelegt. Es waren zwei verschiedene Grüns. Der Maurer schwitzte und wischte sich mit einem karierten Taschentuch die Stirn.
»Wollen Sie Kaffee?« fragte ihn Tante Deli.
»Lieber einen Schnaps«, sagte der Maurer.
Wir wollten vorbeiwischen, aber unser Vater sagte: »Halt!«
Wir blieben stehen, Joachim schielte fürchterlich, die Brille war in der Reparatur. Unser Vater sagte: »Dies ist Herr Klobinski, der Polier. Herr Klobinski sagt mir, ihr hättet ihn besucht?«
»Nicht direkt«, sagte ich. »Wir waren im Schützenhaus, ja.«
Joachim trat mir blitzschnell ans Schienbein.
»Ich denke, ihr habt Stubenarrest?« fragte mein Vater.
Bevor wir antworten konnten, sagte Herr Klobinski, der Polier:
»Es war nett. Sie interessieren sich.«
»Den Teufel«, sagte mein Vater. »Raus!«
Er meinte nicht Herrn Klobinski, sondern uns. Wir machten, daß wir in unser Zimmer kamen. Durch die offene Tür hörten wir, daß mein Vater Grund gehabt hätte, auch Herrn Klobinski rauszuwerfen. Die Maurer waren nämlich nicht gekommen. »Es ist mir sehr
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