Das Schützenhaus
unangenehm«, sagte Herr Klobinski, »sie warenbestellt. Die Partie. Keiner ist gekommen. Ich werde mich kümmern. Vor dem Winter ist alles unter Dach und Fach. Das schwöre ich.«
»Schwören Sie nicht«, sagte mein Vater, »sputen Sie sich. Ran an die Ramme. Prost!«
Wahrscheinlich tranken sie jetzt Schnäpse. Herr Klobinski ging. Mein Vater kam in unser Zimmer. Er setzte sich auf die Ecke von dem Tisch, der vor dem Fenster stand. »Wieso?« fragte er.
»Was, wieso?«
»Wieso wart ihr im Schützenhaus?«
Mein Bruder erklärte: »Damals, bei unserer ersten Besichtigung, haben wir ein paar olle Filmspulen gefunden. Für Heimkino. Nichts Besonderes, Eisbären und so. Aber auf einer war Chaplin mit einem kleinen Hund. Ich dachte, wir könnten einen Apparat bauen und die Filme laufen lassen. Ich dachte, wir könnten Kino machen, in dem kleinen Saal im Schützenhaus. Für die Kinder. Ich dachte, später, wenn ich erwachsen bin, könnten wir im großen Saal Kino machen für die Großen. Richtiges Kino. Wie das Heli. Dort spielten sie ›Jettchen Gebert‹, aber das ist nicht jugendfrei.«
»Eigentlich«, sagte mein Vater, »sollte ich euch ein paar lakkieren, daß ihr denkt, Ostern und Pfingsten fallen auf einen Tag. Als ich Leibgarde-Husar war, mußten wir auch tun, was befohlen war. Zu Befehl, und basta.«
»Der Krieg ist vorbei«, murmelte ich.
»Halt die Klappe«, sagte mein Vater. Und zu Joachim gewandt: »Du willst also Filme vorführen?«
Joachim nickte und plierte mit seinem Auge.
»Und euer Apparat? Funktioniert der?«
»Wir haben technische Probleme«, sagte Joachim. »Mal fördert der Film nicht, und dann haben wir keine Ahnung, was für eine Lampe wir brauchen.«
»Wie lange bastelt ihr schon dran?«
»Seit wir die Filme gefunden haben.«
»Seit ihr sie geklaut habt.«
»Es war Müll«, sagte Joachim. »Wir wollten die anderen Filme holen, aber die Müllmänner hatten sie abgeholt. Das Vertiko auch und alles. Herr Klo…, der Polier, hat gesagt, alles ist abgeholt. Vom Müll.«
Mein Vater stand auf. »Einwandfrei ist das nicht«, sagte er. »Aber gut, ihr braucht einen richtigen Apparat. Einen, der funktioniert. Und natürlich Filme. Wollt ihr euch das Geld dafür verdienen?«
»Ehrlich?« sagte Joachim.
Mein Vater nickte. »Der Schießstand muß gesäubert werden. Alle Disteln raus. Dann die Kegelbahn. Ihr könnt jeden Nachmittag antreten. Ab morgen. Der Stubenarrest ist aufgehoben. Die Stunde fünfzig Pfennig. Alles klar?«
Tante Deli kam. »Deine Brille«, sagte sie zu Joachim.
Joachim setzte die Brille auf. Er schielte weniger.
Am Nachmittag besuchten wir Benjamin und erkundigten uns, wo er seinen Projektor herhatte. »Ihr wollt so ’n Ding kaufen?« erkundigte er sich hochmütig. Wir erklärten ihm, daß wir jetzt Geld verdienten. Er sah uns ungläubig an, aber da er uns nicht traute, nie getraut hatte und es auch fürderhin nicht tun würde, ging er auf uns ein. »Eine Firma in der Stadt verkauft so ’ne Apparate«, sagte er und wühlte in Katalogen. »Hier. Heimkino. Kolonnenstraße. Ich hab’ damals die Anzeige gesehen, und dann hab’ ich mir so ’n Ding gewünscht.«
So einfach war das. Benjamins Vater war Inhaber einer Zigarrenfabrik, mein Vater rauchte seine Marke, bezog sogenannte Fehlfarben, die waren billiger, weil das Deckblatt nicht einwandfrei gefärbt war.
Auf der Anzeige starrten eine elegante Mutter und ein kleines Mädchen auf die Leinwand. Dort schritt ein Herr mit einem Hund durch einen Park. »Vati«, rief das Mädchen. Die Annonce setzte voraus, daß man seine eigenen Filme kurbelte und die dann mit einem Projektor Marke »Heimkino« zu Hause spielte. Wollten wir das?
»Wollen wir so was?« fragte ich Joachim. Der hatte die Brille hochgeschoben und prüfte Benjamins Apparat. »Vielleicht ’neNummer zu klein. Verstehst du, Benjamin, wir wollen richtiges Kino machen, in dem kleinen Saal vom Schützenhaus.«
»Ihr habt nicht alle Tassen im Schrank«, sagte Benjamin.
An die nächsten Wochen und Monate erinnere ich mich als eine Zeit der Hektik. Mein Vater fand das Motto für diese Situation, aus seiner Perspektive: »Kinder, ich komme ja kaum noch ins Bett.« Wir rodeten die Disteln von den Böschungen des Schützenhaus-Schießstandes, rupften die Brennesseln rings um die Kegelbahn. Sie wurde zuerst in Betrieb genommen, während am Haupthaus noch gebaut wurde. Diesen Herbst blieb es lange schön, und eine Menge Leute kamen zum Kegeln hinaus. Daß im
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