Das Schützenhaus
Flugschülerfehlern gedrückt hatte. War mir mein Versagen vor den vertrackten Farbtafeln nicht willkommen gewesen,um all das Unglück um mich her gefahrlos zu überdauern, unwürdiger als ein Floh im Hundefell?
Mir war nicht klar, was ich statt dessen hätte tun können. Das hinderte mich jedoch nicht, in dieses Reuegefühl einzutauchen, mich mit Gedankengängen zu beschweren, die im Kreise liefen und folglich zu nichts führten. Und aus denen klarer und klarer hervorging, daß ich den Rest meines Lebens in dieser lauwarmen Suppe verplätschern würde, die ich mir selbst eingerührt hatte.
Von anderen war das gleiche zu sagen, in meiner unmittelbaren Umgebung angefangen. Die Judenfrage war ohne den geringsten Protest irgendeines Menschen, der uns nahestand, gelöst worden, wie es damals hieß. Stalingrad war eine schlimme Nachricht, zugleich eine gute, der Wendepunkt trat ein. Da wir niemand kannten, der Angehörige bei Stalingrad hatte, ließ uns die Nachricht etwa so kalt wie ein Bericht über Hochwasseropfer am Jangtsekiang.
Wir alle waren Mitglieder der gewaltigen Gruppe der »Weder-Nochs«. Gestatten, Weder-Noch. Wie Kannit-verstahn.
Da nie jemand mit mir über meine Probleme geredet hatte, wagte ich auch jetzt nicht, sie zu äußern. Ich war überzeugt, alle würden sie lächerlich finden, mich nicht begreifen.
Werners Freundin Margot war jetzt oft im Schützenhaus, hängte sich an mich und eröffnete mir ein neues Feld für Reueempfindungen. Noch hatte sich Werners Verschwinden nicht aufgeklärt, wir waren ohne Nachricht, nicht einmal für Spekulationen bot sich Material. »Abwehr«, das konnte vieles heißen. Immerhin war Werners Name in keiner der Listen aufgetaucht, die im Zusammenhang mit dem 20. Juli veröffentlicht wurden. Diese Möglichkeit lag nahe, denn viele Leute aus dem Kreis um Admiral Canaris waren nach dem Attentat auf Hitler aufgeflogen, Angehörige der Abwehr. Weiter drangen wir nicht vor, es gab nichts, was unsere Vermutungen hätte bestätigen können. Werner war gegangen und blieb verschwunden.
Im Rahmen meiner allgemeinen Reueempfindungen stellte ich mir die Frage, warum ich in Werner, unserem Helfer durchviele Jahre, nichts anderes gesehen hatte als einen begabten Clown, bewandert auf allen möglichen Gebieten der Unterhaltung, heute würde man sagen des Entertainments. Ein All-round-Genie, Texte-Verfasser, Klavier-, Ziehharmonika- und Orgelspieler, Stegreif-Erklärer in Stummfilmtagen. Ein Freund ohne Ansprüche, unterbezahlt, immer vorhanden, fast ein Möbelstück. Erst als er weg war, fiel uns auf, daß es ihn überhaupt gegeben hatte, daß er eine Lücke hinterließ.
Schon war ich innerlich bereit, ein sogenanntes Ende mit Schrecken herbeizuführen, mich beim Wehrkreiskommando zu melden, da bemerkte ich: Dieses Mädchen Margot, von dem wir in unserer Leichtfertigkeit stets als Meseritzer Breitarsch gesprochen hatten, ging auf mich ein, trotz ihrer eigenen Sorgen. Niemals fragte sie direkt und plump, was mit mir los sei. Vorsichtig brachte sie das Thema auf meine Zeit in Frankreich, auf jene Monate, als ich Unterrichtsfilme für die Luftwaffe herstellte, und ich war bald sicher, daß sie versuchte, mich zu bewegen, aus mir herauszugehen und meine Seele zu erleichtern.
Ich tat es nicht. Und behaupte: Ich tat es nicht, weil es mir, weil es uns allen nie beigebracht wurde. Ich verschloß mich mehr als zuvor, falls das möglich war. Schließlich gab sie auf. Von nun an vermied sie jedes Gespräch mit mir.
Die wenigen Gäste, die kamen, drängten sich um den Ofen. Unsere Stammkunden – wenige waren übriggeblieben-, die zugleich unser treuestes Kinopublikum bildeten, nahmen widerspruchslos hin, daß aus den Schützenhaus-Lichtspielen ein Soldatenkino geworden war. Die Frauen trugen Kopftücher und Trainingshosen, unsere Kinder, Huberts hübsche Tochter und Ede Kaisers Sohn Karl umhüllten selbstgeschneiderte warme Kleider, die aus ihnen unförmige Puppen machten. Aus diesen Kokons sahen uns blasse, verfrorene Gesichter an. Horsts Nase lief, er war erkältet. Stefan trug die Babysachen der älteren Kinder auf.
Ich will nicht behaupten, daß Anneli meine Veränderung nicht wahrnahm. Aber angesichts der alltäglichen Notwendigkeitenergab sich kein günstiger Augenblick, in dem sie mich hätte ansprechen können. Möglicherweise ahnte sie auch meine Gedanken und hielt sie für egoistisch. Reue war – sprechen wir es aus – in diesen jämmerlichen Tagen ein Luxus.
Während ich
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