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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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sich auf einen Stuhl fallen und steckte sich das Haar hoch. Es sah aus, als wollte sie weinen. »Alles ruht auf meinen Schultern. Nun ist deine Isabella fort, sie hat viel geholfen. Lydia kannst du abschreiben, die heult, weil ihr Hannemann in Rußland ist oder, müßte ich sagen, im Oderbruch. Die Front rückt näher. Ja, ich dachte, du freust dich, wenn du hier Soldatenkino machen kannst. Dann ist der Dia-Apparat installiert. Stell dir vor, Robinson Krause hat ihn angeschraubt. Niemand dachte, daß er dermaßen geschickt ist. Glücklicherweise ziehen sie ihn nicht ein, wegen Alter und Plattfüßen und was weiß ich, woran er alles leidet, das haben sie rausgefunden, und nun ist es ein Glück.«
    »Ich wünsche«, giftete Joachim, »unserem lieben Krause alles Gute, und ihr könnt ja stolz sein, daß dieser überflüssige Apparat an der Wand hängt und nicht beim Aufstellen runtergefallen ist. Aber dafür zweitausend Mark! Man muß doch imAuge behalten, was dieses Kino uns bedeutet. Das betrifft genauso das Programm. Was sehe ich in der Verleihstaffel angeboten? ›Ewiger Wald‹? Ihr habt das gespielt?«
    »Wir mußten es mit abnehmen«, sagte Tante Deli.
    Joachim schüttelte den Kopf. »Hansi, hör dir das an. Die olle Kamelle von 1936 hat ein gewisser Albert Graf von Pestalozza verbrochen, ich erspare mir naheliegende Wortspiele. Lies den Begleitzettel. Lies vor.«
    Ich las:
    Was seit Ewigkeiten im Wald lebendig wirkte, das mochten die Völker, auf- und niedertauchend im Wellenspiel der Zeiten, einmal mehr, einmal weniger gewußt haben, unverrückbar trugen den Besitz dieses Wissens durch die Jahrtausende die Dichter, die im Dämmerdunkel des Hains den Sinn des Lebensbaumes, des Waldes, zu ergründen trachteten. Zum ersten Male deutet hier der Film diesen ewigen Sinn des Waldes.
    »Danke«, sagte Joachim. »Ich verstehe nicht, wie intelligente Menschen sich so was unter die Weste jubeln lassen können. Besprecht ihr das nicht mit Vater: Schließlich kommt er oft genug von seiner Gaul-Tranchieranstalt herüber. Besprecht ihr das nicht mit Hansi, unserem Sonderführer? Was geht in Annelis Köpfchen vor?«
    »Laß Anneli aus dem Spiel«, knurrte ich.
    »Wenn alles gutgeht, läuft ab nächster Woche unser Soldatenkino«, sagte Joachim. »Wir dürfen Filme zeigen, die nicht im öffentlichen Kino laufen. Wir fangen mit ›Romanze in Moll‹ an, den Film hat Goebbels nicht fürs Publikum freigegeben.«
    Ein neues Schild an der Giebelwand des Kinosaals: »Soldatenkino Schützenhaus«. Anneli hatte es gemalt, mit Karbolineum auf rohe Bretter. Eine andere Farbe fand sie nicht, bekam sie nicht, Farbe gehörte zum Frieden, unser Leben war feldgrau.
    Ich glaube, als eine Folge des 20. Juli wurden Sonderführer abgeschafft. Oberleutnant Schmincke im Reichsluftfahrtministerium erklärte mir, daß weitere Schulungen mit Flugunterrichtsfilmen nicht durchführbar seien. »Der Reichsmarschallvereint alle Kräfte zur Abwehr des Feindes, der unsere Heimat bedroht«, sagte er.
    Oberleutnant Schmincke trug einen weißen Seidenschal, aus dessen Falten ein bißchen Ritterkreuz lugte. Seine linke Hand war aus Holz und steckte in einem dunklen Glacehandschuh. Er expedierte mit der heilen Hand Zigarettenetui und Feuerzeug aus der Brusttasche, bot mir an. Wir rauchten. »Sie sollen Ihre Uniform abgeben«, erklärte mir der Oberleutnant. »Aber niemand weiß, wo. Nehmen Sie also das Ding mit nach Hause. Ich habe Ihre Entlassungspapiere, obwohl ich nicht weiß, ob wir berechtigt sind, Ihnen Entlassungspapiere auszustellen. Alles geht ein bißchen durcheinander, mit Sonderführern weiß niemand etwas anzufangen.« Er grinste: »Vielleicht die Partei. Aber die fragen wir nicht. Sie haben deshalb Entlassungspapiere als Luftwaffensoldat. Kurios, nicht? Aber nützlich. Ab sofort stehen Sie wieder zur Verfügung des Wehrkreiskommandos. Sie bekommen eine neue Einberufung.«
    Oberleutnant Schmincke stand auf. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen gratulieren soll.«
    Mein Kamerazug, Filmmobil, Fahrer und Assistent wurden einkassiert. Ich ging nach Hause, Anneli trennte die Achselklappen von meiner Schmalspuruniform. Andere Anzüge paßten mir nicht mehr. Wir nahmen den Kinobetrieb auf, hauptsächlich für Einheiten des Flakregiments Berlin, deren Stellungen unweit des Schützenhauses lagen, zur Luftverteidigung der Reichshauptstadt. In diesen Tagen und Wochen lief die »Feuerzangenbowle«, dann »Frauen sind keine Engel« mit dem Schlager von Theo Mackeben,

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