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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Doppelkorn!«
    Es dauerte lange, bis ich alles erfuhr, was sich ereignet hatte. Greifbares schälte sich erst aus dem Durcheinander, als Tante Deli alle anderen zum Schweigen brachte, indem sie zu dem bisher ausführlichsten ihrer Monologe ansetzte.
    Der ging so:
    »Haltet mal alle die Klappe, hier geht’s ja zu wie in der Ju …, ach, das darf man nicht mehr sagen, wirklich. Egal. Schnauze, sonst Beule, klar? Hansi ist müde, will erfahren, was los war. Also, wir haben die Chose zusammengeflickt, so gut es ging. Hast ja gesehen, wie es aussah, als du weggingst. Wochenlang sind wir auf Glasscherben getreten.«
    »Mein Fuß war blutig«, schrie Horst auf das Stichwort hin dazwischen.
    »Halt die Klappe, sonst!« Tante Deli hob die Hand. »Wir haben das aufgeräumt, aber der Kintopp war hin, verstunken und alles voll Ruß. Kein Soldatenkino. Folglich kein Geld. Wir bekamen pro Vorstellung – Joachim, was bekamen wir pro Vorstellung?«
    Joachim wußte es nicht mehr. Er lief mit seinem Sohn auf dem Arm vor den Tischen auf und ab in der Hoffnung, Stefans Phonzahl so weit herabzusenken, daß Tante Deli sich verständlich machen konnte.
    »Egal«, fuhr Tante Deli fort. »Mit eurem Vater rechneten wir nicht, der bewachte seine nichtvorhandenen Pferde. Keine Vorstellung also und kein Geld. Wir schmissen die Stühle raus, damitsie auslüfteten. Natürlich taute es, und es kam Regen. Dann haben wir die Bretter abgerissen, das sah vielleicht aus. Bloß die nackten Latten und alles schwarz. Durch den Wald trottete der Volkssturm, die übten mit der Panzerfaust. Sie wollten Joachim mitnehmen, aber der zeigte seine Papiere, nichts zu machen. Soldatenkino war kriegswichtig. Einer vom Volkssturm sagte, sie hätten im Wald eine abgestürzte Superfortress gefunden, Rumpf und Flügel ziemlich heil.«
    »Tragflächen«, sagte ich.
    »Wie? Bitte schön, Tragflügel oder Tragflächen. Kuck mal aus dem Fenster.«
    Die Fassade des Kinosaals glänzte silbrig.
    Tante Deli lachte. »Wir haben den Bomber abgeledert, der Volkssturm hat geholfen. Die waren froh, daß sie sich bewegen durften. Zwischendurch aufwärmen in der Gaststube. Wir hatten damals eine Menge von dem Doppelkorn, was, Pommrehnke?« Ein Blick zu meinem Vater. »Die haben ihre Panzerfäuste vergessen, sage ich dir. Olle Männer alles, natürlich kein Nazi darunter, die hielten sich zurück mit der Verteidigung von Berlin. In einer Woche hatten wir das gedeichselt. Lydia wusch die Sessel, Eichelkraut hat einen Karton Kernseife organisiert. Stell dir vor, echte Kernseife! Wir haben die Kinder gewaschen und die Sessel und die Kleider von den Kindern, und wir Frauen haben uns die Haare gewaschen, es war wie im Frieden.«
    »Oder besser«, rief Joachim.
    »Oder besser. Jetzt haben wir bloß Einheitsseife. Aber Mathilde, du weißt doch, Huberts Tochter, die ist ein dralles Ding inzwischen, geht mit ’nem Ami, Mathilde also hat gesagt, sie kommt mit echter Seife rüber. Sie arbeitet bei Quartermaster, zuständig für die Versorgung der Amis. Ein Riesenlager bei Telefunken, die Fabrik haben sie beschlagnahmt. Ja, Mathilde spricht sehr gut englisch.«
    »Du wolltest vom Kino erzählen«, sagte ich.
    »Tatsächlich. Auf einmal war Eröffnung, wir spielten was mit Brausewetter. Der war ja nun tot. Aber ein toller Film. Nur,weißt du, was jetzt passierte? Es kamen keine Soldaten mehr! Aber wir brauchten einen Grund, daß nicht irgendein Heldenklau Joachim kassierte, oder? Wir haben also Vorstellungen für den Volkssturm organisiert. Geld gab’s keins mehr, aber Joachim blieb, in seiner Uniform. Hast du Hunger? Ich kann Kartoffelsalat und Würstchen machen. Gut. Eben später. Siehst spack aus, Junge. Aber viel Fett haben wir alle nicht auf den Rippen. Was euer Vater früher das Marmorpalais nannte«, sie sah seitlich rückwärts an sich hinunter, »das ist nur noch in Andeutungen vorhanden.«
    »Du wolltest vom Kintopp erzählen.«
    »Genau. Joachim ging tagsüber auf Filmhamstertour, war nicht einfach, Luftangriffe, und die Bahn fuhr manchmal nicht. Aber er riß den Verleihern ein paar Rollen aus den Zähnen, die haben wir noch, stell dir vor.«
    »Zwölftausend Meter Chaplin und vierzehntausend Meter ›Dick und Doof‹«, rief Joachim.
    »Nun kam das zum Klappen, die Russen schossen schon rüber, war wieder Schluß mit Kino. Wir in den Keller, hier im Haus. In den Splittergraben wollte keiner mehr, in der Laubenkolonie war eine Bombe auf den Splittergraben gefallen. Wir

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