Das Schützenhaus
hatte und in der Matratze von Vaters Bett steckengeblieben war. Wir hatten die Reste dieser Bombe gefunden.
Mein Vater saß in Bademantel und Schal am Tisch und schlürfte einen Grog. Seine Uniform hing zum Trocknen vordem Ofen. Robinson war noch in der Nacht zum Gut hinübergeradelt und hatte gemeldet, was vorgefallen war. Der Kommandant des Pferdelazaretts gewährte weitere zwölf Stunden Urlaub. Wider alle Notwendigkeit, wie er zu Robinson Krause bemerkt hatte, denn Brandbomben hatten auch im Gut Ställe und einen Strohschober entflammt. Dort löschte die Feuerwehr.
Schließlich brachte Anneli unsere Kinder herunter. Helga und Horst gähnten. Sie saßen in sich zusammengesunken auf ihren Stühlen. Stefan schlief oben in seinem Bettchen. Tante Deli kochte Kaffee. Einmal stellte sie sich in die Tür und hob an zu reden. Aber mein Vater winkte ab. »Wir wissen, was du sagen willst«, ließ er Tante Deli wissen, »aber die Eskadron befindet sich, wie du siehst, in Ruhestellung.«
Tante Deli klatschte sich mit der flachen Hand auf den Dutt.
Mein Koffer lag auf einem Tisch. Ich ging nach oben, suchte Sachen heraus, die ich mitnehmen wollte. Anneli folgte mir. »Muß es sein?« fragte sie. Ich warf das Zeug aufs Bett, unseres war nicht verbrannt in dieser Nacht, und umarmte sie. »So viel gäbe es zu sagen«, flüsterte ich ihr ins Ohr. »Niemand weiß, ob man was richtig macht oder falsch. Es ist trotzdem die beste Lösung, wenn ich nach Husum fahre. Oder es versuche.« Ich drückte Anneli an mich. »Ich liebe dich«, sagte ich laut in ihr Ohr, ihr rechtes, das abstand, nur fühlbar für meine Lippen. Bis auf ein einziges Scheibenkaro waren die Fenster mit Pappe vernagelt. Wir sahen einander kaum.
Die Kinder begriffen vor Müdigkeit nicht, daß ich fortging. »Bring uns was mit«, sagte Helga. Und Horst murmelte: »Vielleicht wirst du Düsenjägerpilot.«
Ach, die Farbtafeln.
Sie brachten mich zum Bahnhof. Als wir auf die Straße hinaustraten, mein Vater, der sich einen zu weiten Zivilanzug angezogen hatte, Robinson in weißer Jacke und Joachim, dessen Mullbindenfinger leuchteten, bremste ein Hitlerjunge auf einem Motorrad vor uns. »Herr Pommrehnke?« fragte der Meldefahrer. Vielfältiges Kopfnicken. »Herr Joachim Pommrehnke«, sagte der Junge, ein bißchen sauer.
»Ich«, sagte Joachim.
Der Junge blickte auf Joachims Verbände. »Sie sollen ins Krankenhaus kommen«, sagte er, »wo Frau Isabella Pommrehnke sich aufhält. Eine Luftmine hat das Krankenhaus getroffen. Heil Hitler!« Er warf den ersten Gang ein und raste davon.
Sollte ich bleiben? Joachim begleiten? War dies ein Zeichen?
Joachim rannte zum Schuppen, wo das Fahrrad angelehnt stand, seit Robinson Krause vom Gut zurückgekommen war.
Anneli hakte sich bei mir ein. »Zum Bahnhof«, rief sie. »Wir schreiben dir. Vielleicht ist nichts passiert.« Sie drängte mich auf die Chaussee. Die Kinder hängten sich an mich. Anneli trug den Koffer. Die Spatzen schimpften.
21
Die Sonne brannte, in der Luft hing ein leichter Staub und der Geruch von reif werdendem Korn. Die Engländer hatten das Dorf geräumt, wir warteten auf die Russen, sie sollten diesen Teil Mecklenburgs besetzen. Ich saß mit Astrid auf einer Bank hinter dem Haus. Wir löffelten Blaubeeren aus blechernen Henkeltöpfen, Astrid aus einem roten, ich aus einem blauen. Astrid hatte die Blaubeeren gesammelt, einen Teil davon beim Kaufmann gegen Zucker eingetauscht. Unsere Lippen und Zähne färbten sich.
Astrid gehörte zu jenen Mädchen, die schulterfreie Keider tragen, sobald Witterung und Gelegenheit es zulassen. Blondes Haar fiel auf ihre gebräunte Haut, ihre Oberarme waren kräftig, doch anders als etwa Isabellas Oberarme. Astrid war kein »Rohling«.
Sie hatte mich aufgenommen. Zusammen mit ihrer Mutter, einer baltischen Baronin, die bürgerlich geheiratet hatte, war sie auf der Flucht in diesem winzigen Haus aus roten Backsteinen gelandet, vor dessen Fenstern Geranien in weißen Blumenkästen wucherten.
Unsere Löffel schrabten und kratzten. »Sie kommen nicht«, wollte ich soeben, die Russen betreffend, sagen, deren Einrücken längst hätte stattfinden müssen, da hörten wir den Lärm einer anrückenden Kolonne.
Es war nicht der Marschtritt deutscher Soldaten in ihren benagelten Knobelbechern. Dies hörte sich vielmehr an, als wenn eine Karawane sich näherte in einem Film wie etwa »Der Dieb von Bagdad«. Das Wiehern von Pferden, kreischende Wagenräder, Ausrufe in fremder
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