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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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meinetwegenKinder-Kintopp. Aber doch kein richtiges Kino, Menschenskind.«
    Joachim schob die Brille hoch und rieb sich die Augen, »’ne lange Ansprache«, sagte er. »Hansis Weltanschauungen, wie? Projiziert auf die kleine, übersichtliche Welt des Schützenhauses. Spaß beiseite. Klingt logisch, was du sagst. Aber laß mich mal machen. Wetten, daß ich hier in sagen wir drei Jahren ein richtiges Kino auf die Beine stelle?«
    »Ich wette nicht«, sagte ich.
    Außer Lilienthal beschäftigten mich noch andere Dinge. Tief in meine Erinnerung eingegraben war die Szene mit Portiers Lieschen im Holzschuppen bei der alten Wohnung. Durch täglichen Umgang mit unserer kleinen Cousine war mir klar, daß Mädchen unten einen Schlitz hatten. Anneli war nicht zimperlich und gewährte großzügige Einblicke. Lieschen hatte uns geleimt mit dem »Ding«, von dem sie behauptete, sie habe die Unterhose gemeint, übrigens war sie der einzige Mensch, der Unterhose sagte, alle anderen sagten Schlüpfer. Worum ging es in dem Holzschuppen unserer Meinung nach? Daß sie sich auszog.
    Ich gestehe, Lieschens »Ding«, das wirkliche, interessierte mich immer mehr. Manchmal kam sie am Sonntag mit ihren Eltern. Ihr Vater, der alte Radke, wie er genannt wurde, und ihre Mutter setzten sich an den Tisch und bestellten Bier. Zwei mächtige Leute, mit Bäuchen, die nicht hinter den Tisch gingen, sie rückten die Stühle ein bißchen ab. Sie aßen Schmorbraten oder Eisbein mit Sauerkraut oder Kartoffelpuffer, für Lieschen immer eine Portion mit. Lieschen aß ein paar Gabeln voll, ließ den Rest stehen und haute ab, ins Kinderkino oder spielen. Die Eltern mampften dann ihre Portion mit auf. Sie aßen in aller Ruhe, teilten sich die Reste, schleckten die Teller sauber. Dazu brauchten Radkes noch zwei Mollen und noch zwei und am Ende jeder einen Schnaps. Sie glühten dann von innen, Lieschens Eltern, wie Öfen, in die man heftig eingekachelt hat.
    Radke politisierte gern, wenn er kein anderes Opfer fand, mit meinem Vater. Radke sagte den endgültigen Wahlsieg derKommunisten voraus, »Die klatschen euch alle an die Wand. Die ziehen sogar den Sozis die Stiebel aus.«
    Mein Vater, in seiner wortkargen Art, sagte: »Abwarten.«
    Tante Deli, ihre nun rundlichen Arme in die Hüften gestützt, blieb vorsichtshalber im Durchgang zur Anrichte stehen, sie mochte es nicht, wenn Radke loslegte. »Das soll er in seiner Portierswohnung machen, mit seinesgleichen«, sagte sie böse, als Radkes gegangen waren.
    »Er hat ein Recht auf freie Meinungsäußerung«, sagte mein Vater.
    »Ja«, zeterte Tante Deli, »mir Gläser zerkloppen. Und das Sauerkraut hängt am Kronleuchter.«
    Solange die Radkes fraßen, schlich ich hinter Lieschen her, nun doch von der Hoffnung getrieben, daß sie eines Tages mehr zeigen würde als ihre Unterhose. »Wat sitzte mir denn uff de Pelle«, sagte sie und schob mich weg, wenn ich ihr den Arm um die Schulter legte. Sie flitzte davon, und es gab eine Verfolgungsjagd.
    Einmal drängte ich sie in der Pferdebox, wo ich mein Modell baute, in die Ecke und hielt sie fest. Sie ließ ihre Augen von rechts nach links und von links nach rechts wandern, zeigte viel Weiß. Dann stülpte sie ihre Zungenspitze vor. »Weeßte nu, wat poussieren is?« fragte sie. Ich zuckte mit den Schultern. Das hatte ich bei Benjamin nachschlagen wollen, Benjamins Eltern besaßen ein Lexikon. Ich hatte es vergessen.
    »Wenn de nich weeßt, wat poussieren is, laß mir loofen«, sagte Lieschen. Sie befreite sich aus meinen Armen und ging zur Tür. Nach ein paar Schritten drehte sie sich um und blickte mir auf die Hose. »Da rührt sich nischt«, sagte sie. »Fang mit Handbetrieb an, denn sehn wa weiter.«
    Ich errötete, aber hier in dem dämmerigen Stall war das egal.
    Was meinte sie mit Handbetrieb? In der Klasse redeten sie allerlei, was ich nicht verstand. Willi Köpke behauptete, er könne elfmal. Was konnte er elfmal? Hatte es mit Mädchen zu tun? Wie stand Joachim zu den Mädchen? Manchmal, nach der Schule, forderte er mich zu einem Umweg auf, »die Miekenvom Lyzeum beschleichen«. Die Mädchen hatten eine Viertelstunde später Schluß, wir kamen rechtzeitig, beobachteten, wie sie aus dem Tor strömten, sich in Gruppen zusammenfanden, verteilten, absonderten, verschiedene Richtungen für den Nachhauseweg wählten. Außer uns gammelten ein paar andere Oberschüler vor dem Lyzeum. Die Mieken sahen uns an, wurden ein bißchen rot und lachten. Sie kicherten, als sei es

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