Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
Vom Netzwerk:
Während die Pferde anzogen, grüßten sie, indem sie mit dem Peitschenstiel an den Schirm tippten.
    Mir mag entgangen sein, daß unsere Versorgung mit Waren aller Art auf gewöhnlich bekannten Wegen stattfand, so, wie wir unser Bier von der Brauerei bezogen. Ich glaube jedoch, daß in Notzeiten eingegangene Geschäftsverbindungen, die dem Bereich des Schwarzmarkts zugeordnet waren, bis in bessere Zeiten hielten. Das war vernünftig, denn immer wieder wurden diese sogenannten besseren Zeiten durch schlechtere abgelöst. Der Vorteil war, daß wir aus einer Bauernfamilie stammten und folglich unsere Verbindungen zum Land niemals abrissen.
    In kritischen Zeiten servierte Tante Deli immer noch Hühnchen mit Gemüse aus dem Garten. Zu ihrem Erscheinungsbild gehörte die Rolle: Frau, gerafften Rockes Hühner jagend, die durch Zaunlöcher auf die Wiese oder in den Park entkommen waren.
    Zwar rief Tante Deli: »Hansi, die Hühner sind draußen!« Bevor ich allerdings die Tür erreichte, befand sie sich auf dem Weg in die Region, die ihre Hühner außerhalb des Käfigs erwählt hatten. Das Federvieh stob auf, Daunen flogen, Tante Delis Rodeländerund Leghorn rasten im Kreis, schwankten und gackerten, bis sie ihr Heil darin sahen, wieder in den Käfig zurückzukehren.
    Tante Deli verriegelte das Gatter, ihr Atem ging hoch. Meistens kam bereits in diesem Augenblick mein Vater vom Stall her, eine Drahtrolle unter dem Arm. Er schloß, in geduldiger Arbeit und auf den Knien rutschend, Fluchtloch um Fluchtloch. Einem Robespierre des Hühnerhofs gleich, schleppte er sodann jenes Huhn, das er für die Rädelsführerin beim Ausbruch hielt, zum Hauklotz und schlug ihm den Kopf ab.
    Komplizen waren sie, Tante Deli und unser Vater. Lächelnd nahm sie aus seiner Hand die kopflose Henne entgegen, noch tropfte Blut aus dem schlaff baumelnden Hühnerhals.
    Tief in die Gemüter der Großstädter hatten sich die Zeiten des Trockengemüses, genannt Stacheldraht, und des wäßrigen, mit Sägespänen abgezogenen Kleiebrotes eingeprägt. Bald errang unser Schützenhaus den Ruf einer Freßoase. Mit Kindern und Hunden zogen die Berliner an schönen Wochenenden heran, geblümte Kleider flatterten, Männer mit Hosenträgern legten sich die Jacketts über den Arm, Futter nach außen. Stammgäste wie Radkes forderten ihr Eisbein, Radke prophezeite den Sieg der Kommunisten, solange es opportun schien: »Die klatschen euch an die Wand«, rief er. Später behauptete Radke, er habe nie derartiges geäußert – »schon gar nicht in einer Schwarzmarktbude wie dem dreckigen Schützenhaus«.
    Die Regimentskameraden, meinem Vater treu ergeben, pflegten hingegen die Illusion, der Kaiser sei mal eben nach Doorn in den Urlaub gefahren, zum Holzhacken. »Deutschland braucht eine Monarchie!« Der Husaren-Gegenschlachtruf hallte bis zu Radke rüber, der Blicke zur Zimmerdecke warf und den Kopf schüttelte über so viel Unverstand.
    Damals, in den früheren zwanziger Jahren, spielte unser Vater unverdrossen Leibgarde-Husar in Reserve. Eskadron – marsch! Es konnte ja ein Husarengeneral vorbeikommen, der olle Mackensen trat in seiner Uniform als Totenkopf-Husar öffentlich auf. Wenn so einer käme, würde Walter Pommrehnkedie Hände an die Hosennaht legen, wie einst, als er die mit Schnüren geschmückte Attila trug.
    Phantasien? Später, auf einem Husarentag, als die Reichswehr die Tradition der alten Regimenter fortsetzte, habe ich es erlebt:
    Vater stand stramm!
    Anneli war die einzige, meine ich heute, für die jene öffentliche Katastrophe, der Weltkrieg eins, oder mindestens das Kriegsende, real stattgefunden hatte. Und die private Katastrophe, der Tod unserer Mutter.
    Anneli fragte: »Wie sah sie aus, eure Mutter?« Ich schlich mich in Vaters Zimmer, wenn ich ihn unten in der Gaststube hinter dem Tresen wußte, möglichst in Gegenwart von Regimentskameraden, Ede Kaiser und wie sie alle hießen. Es existierte eine Kommodenschublade, in der Bündel bananenförmiger, gestärkter Kragen lagen wie jene, die wir beider ersten Besichtigung des Hauses gefunden hatten. Nur handelte es sich jetzt um Vaters Kragen.
    In dieser Schublade lagen Fotografien. Unser Vater mit seiner Frau, er aktiver Husar, in Uniform, ohne Mütze. Unsere Mutter mit weißer Schürze, aufgenommen während ihrer Zeit in einer Haushaltsschule, ich glaube Lette-Haus. Unsere Mutter mit ihrer Mutter, Großmutter, die jetzt am Gudelacksee wohnte. Ein Porträt: Mutter sitzt auf einer Bank vor einer

Weitere Kostenlose Bücher