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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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reibungslos ab. Die Kinder lachten, nach jeder Spule klatschten sie. Weil Weihnachten war, lud mein Vater anschließend sämtliche Kinder zu Faßbrause ein.
    Die Schützenhaus-Lichtspiele waren eröffnet.
    Nur Joachim schien nicht zufrieden. Am nächsten Morgen, als wir den Saal aufräumten, sagte er: «Weißt du, was fehlt?«
    Ich schüttelte den Kopf. Joachim stützte sich auf den Besen, mit dem er den Boden kehrte. «Musik fehlt. Einer, der am Klavier sitzt und Musik macht. Und dann einer, der erklärt. Wie im richtigen Kino.«

4
    Joachim, in seiner hochgestochenen Art, bilanzierte: »Alles rundet sich, nur unser Schicksal nicht.«
    »Sag doch ›nich‹, denn reimt et sich«, spottete ich. »Kannst du mir erklären, was sich hier rundet?«
    Joachim warf mir einen abwesenden Blick durch seine Brillengläser zu. »Siehste doch«, sagte er. »Anneli kriegt einen Hintern anstelle der vergrößerten Kaffeebohne, die sie hatte, als die klein war. Tante Deli schwelgt im Wirtinnendasein. Sie schmeißt den Laden, das hat jeder erwartet. Aber sie wird dick dabei. Wie die Wirtinnen in Geschichten. Guck dir mal ihre Arme an, wenn sie Bier zapft. Und warum? Weil sie zufrieden ist. Rundum zufrieden.«
    »Und wir, warum meinst du, sind wir nicht rundum zufrieden? Du und ich?«
    »Der Kintopp stagniert«, sagte Joachim. »Seit Jahr und Tag machen wir dasselbe, leiern die Rollen durch, mal sind mehr Kinder da, mal weniger. Mal Mütter, die gut riechen, mal Mütter, die weniger gut riechen. Wir haben kein Klavier und keinen Erklärer. Das Angebot an Kinderfilmen ist dünn. Plumpsklo und wen wir sonst angeleiert haben, können nichts mehr ranschaffen. Wir nudeln schon die ollen Spulen mit den Pinguinen durch. Macht dir das Spaß? Nein. Ich merke doch genau, daß dir dein Lilienthal lieber ist als diese Filmkurbelei.«
    Joachim spielte auf mein neues Hobby an, das vielleicht so neu nicht war: Ich sammelte alles, was ich über Lilienthal und dessen Flugversuche finden konnte, hatte auch schon den Fliegerberg im Süden Berlins besucht und den Park mit dem Denkmal in Lichterfelde. Der rote Kampfflieger hatte mich interessiert, damals, in der alten Wohnung, als ich meine Aquarelle malte, jetzt war ich den Ursprüngen auf der Spur. Ich bastelte sogar an einem verkleinerten Modell von Lilienthals Flugmaschine. Eine seiner Flugmaschinen, muß ich ergänzen, Lilienthalhat ja eine Menge Modelle konstruiert. Sein sogenannter Normalsegelapparat ging in Serie, wurde bis nach Amerika verkauft. Und den versuchte ich in klein nachzubauen, Spannweite sechzig Zentimeter. Ich hatte mich im Anbau des großen Saals eingerichtet, wo die leeren Pferdeboxen eine ideale Werkstatt abgaben. In einer Box entstand mein Hangleitermodell, in der Box daneben bastelte Joachim an seinen Filmapparaten und Optiken.
    »Und all die Filme«, sagte Joachim, »die wir nicht sehen können, weil sie nicht jugendfrei sind. Wie ein Idiot stehe ich vor dem Schaukasten im Heli und sehe mir die Szenenfotos an. Conrad Veidt in ›Dr. Caligari‹. Pola Negri und Emil Jannings in ›Madame Dubarry‹ im Ufa-Filmpalast, da dürfen wir höchstens mal bei einer Sonntags-Matinee reinschnüffeln. Alle guten Filme kriegen wir nie zu sehen. ›Carmen‹ von Ernst Lubitsch. Alles am Ku’damm. Seit General Ludendorff die Ufa gegründet hat, entstehen Filme über Filme. Die haben Geld. Wir werden kaum einen davon sehen, bis wir achtzehn sind. Ist das gerecht?«
    Joachim erwartete keine Antwort. Den Blick in die Ferne gerichtet, fuhr er fort: »Bald wird es Tonfilme geben, die Leute werden zu Tausenden in die Kinos rennen, noch mehr als jetzt schon. Sie rennen aber nicht alle in den Ufa-Palast, sie wollen ihr Kino um die Ecke. Wie das Heli. Sie sind mit hölzernen Klappsitzen zufrieden statt der Fauteuils im Filmpalast. Dafür ist der Eintritt in ihrem Vorstadt-Kintopp billiger. Wir müssen richtigen Kintopp machen. Im großen Saal.«
    »Wie stellst du dir das vor?« fragte ich. »Zwei Minderjährige führen Filme vor, die nicht jugendfrei sind, da seh’ ich doch schon den Schutzmann auf dem Fahrrad um die Ecke peesen. Dann die Lage vom Schützenhaus. Hier bellen die Füchse, wenn du mal richtig hinhörst. Meinst du, die Leute sind scharf drauf, hier ins Kino zu latschen? Ausgerechnet bei uns und bei Mutter Natur? Hier könn’ Familien Kaffee kochen, das kannste bei uns veranstalten. Und ’n Ziegengespann für die Laubenkinder, damit sie sich für ’n Sechser amüsieren. Und

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