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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Schützenhaus wieder »was los« war, sprach sich herum.
    Sternchen Siegel rollte ein Faß heran und eröffnete eine provisorische Schank, damit die Leute ihren Durst stillen konnten. Wir machten abwechselnd die Kegelburschen, stellten die Kegel wieder auf. Wer alle Neune schob, schmiß eine Lage, das war Tradition. Manchmal kam unser Vater und schob ein paar Kugeln mit, er mochte sich gern mit den Leuten unterhalten. War wohl auch neugierig, was sie hierherzog, ob sie wiederkommen, ob sie Freunde mitbringen würden.
    Einmal kam Wilfried Wumme mit einer Schar von Freunden, die nicht ungefährlicher aussahen als er. Sie tranken eine Unmenge Bier und brachten Joachim und mich in Trab. Das Kegelaufstellen ging ihnen nie schnell genug. Am Schluß, als sie aufbrachen, stellte Wumme sich ganz nahe vor uns, so daß wir seinen Bieratem riechen konnten, und fragte:
    »War’s schön an der Brücke?«
    Joachim plierte durch seine Brille und sagte nichts. Da ich in der Nähe Sternchen hantieren sah, riskierte ich eine große Klappe und sagte: »Die Gegend hat noch stundenlang nach dir gestunken, Wumme.« Ich dachte, jetzt klebt er mir eine, aber er lachte und zog mit seinen Freunden ab.
    Weniges aus jenen Tagen ist mir dermaßen deutlich in Erinnerung. Eine Zeitlang saßen wir in der Königstraße zwischen Umzugskisten, was man brauchte, fand man nicht, das meiste war bereits verpackt. Eines Tages gab es nicht einmal mehr eineBratpfanne. Dann kamen Möbelwagen von Thiele Witwe, gelb mit blauen Diagonalstreifen, auf denen weiß der Firmenname prangte, und luden ein. Zum Schluß stellten sie den Kronleuchter auf eine Kiste. Anneli hatte einem Möbelmann im letzten Augenblick den Puppenwagen mit dem Hundekind drin entrissen, sie bestand darauf, mit diesem Puppenwagen zum Schützenhaus umzuziehen, eine Mitfahrgelegenheit, durch Thiele Witwes Leute angeboten, verschmähte sie.
    Was wurde aus der alten Wohnung in der Königstraße? Ich erinnere mich, daß sie von einem gewissen Herrn Rupprecht gemietet wurde, Rupprecht mit Nachnamen. Die Wohnung, bei uns einigermaßen hell, war nun mit dunklen Tapeten ausgestattet, an den Wänden standen schwere Möbel mit gedrehten Säulen, heute weiß ich: imitiertes flämisches Barock. Herr Rupprecht sah ein bißchen so aus, wie er hieß. Er trug einen weißen Vollbart wie heutzutage nur noch russische Dichter und schlurfte in Pantoffeln in seinem düsteren Reich umher. Er lebte allein, ohne Frau und ohne Kinder. Dafür gab es Lieschen im Haus, Lieschen, die Portierstochter.
    Einmal lockte sie uns, als wir Herrn Rupprecht besuchten, in den Holzschuppen auf dem Hof. Es war dämmrig da drin, nur durch ein paar Ritzen fiel Licht. »Wißt ihr, was poussieren ist?« flüsterte Lieschen. Joachim sagte: »Klar.« Es schien ihm aber gar nicht klar zu sein, wahrscheinlich hatte er, genau wie ich, dieses Wort noch nie gehört. »Also. Erklär’s«, befahl Lieschen. »Poussieren ist«, stotterte Joachim, »w-wenn man …«
    Er trat von einem Fuß auf den anderen. »Na, egal«, sagte Lieschen großmütig. »Habt ihr ’n Groschen?«
    »Wozu?«
    »Wenn ihr mir ’n Groschen gebt, könnt ihr mein Ding sehen.«
    Joachim wühlte in seiner Tasche und förderte einen Groschen zutage, den er Lieschen überreichte. Lieschen drehte sich um, schlug kurz den Rock hoch und wieder runter. Wir sahen ein weißes Höschen blitzen. Lieschen drehte sich um, das Weiß in ihren Augen blitzte ebenfalls. »Beschiß«, sagte ich, »du wolltestuns dein Ding zeigen.« Lieschen lachte. »Is denn ’ne Unterhose keen Ding?« fragte sie und rannte aus der Tür.
    Genau weiß ich noch, daß Anneli nicht mit ihrem Puppenwagen durch den Sandweg karriolte. Mein Vater hatte eine Taxe bestellt, sein Regimentskamerad Ede Kaiser betrieb ein Taxengeschäft in der Kolonie Tausendschön. Herr Kaiser lud uns in seinen Adler. »Kinder uff die Klappsitze«, sagte er.
    Mein Vater machte einen Witz, den wir öfter vorgeführt bekamen, nämlich immer, wenn Herr Kaiser kam. »Ich grüße meinen Kaiser«, sagte unser Vater und legte die Hand an den Kopf oder, falls er einen Hut trug, an den Hutrand wie zum militärischen Gruß. Herr Kaiser antwortete dann regelmäßig: »Wer schützt das Vaterland mit Macht, wenn’s blitzt und kracht? – Das macht Reserve neunzehnhundertacht.«
    »Ungeheuer witzig«, flüsterte Joachim.
    Tante Deli schaukelte neben meinem Vater im Rückpolster und hielt Zeppelin am Halsband. »Das gute Geld«, murmelte sie. »Wir

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