Das Schützenhaus
hätten laufen sollen. Hoffentlich wird dem Hund nicht schlecht. Nachher kotzt er noch die Taxe voll. Wer soll das wegmachen? – Mein Gott, die Verschwendung.«
Mein Vater grinste, sog an seiner Zigarre und füllte den Adler mit blauem Rauch. »Regimentskamerad Kaiser muß auch was verdienen«, sagte er.
Im oberen Stockwerk des Schützenhauses verteilten sich unsere Möbel wie gewohnt. Ein paar Wände waren herausgerissen worden, so daß ein Raum ähnlich wie unser Eßzimmer in der alten Wohnung aussah, bald hing der Kronleuchter wieder über dem Tisch. Eine Tür führte zum Schlafzimmer meines Vaters. Neu war, daß Tante Deli das Zimmer gleich neben seinem bekommen hatte. Dann schloß sich die Küche an, und ganz am Ende des Flurs lagen die Kinderzimmer.
Alles war heller als in der alten Wohnung. Durch die Fenster sahen wir in die Kronen der alten Bäume, sie hatten, der Jahreszeit entsprechend, ihre Blätter verloren, die Sonne drang ungehindert in die Zimmer und erfüllte sie mit Licht. »Direkt bongforzjonös«, sagte Joachim. »Unterkunft für Luxus-Kegeljungs.Unserem Vater sei gedankt.« Er nahm die Brille ab und rieb sich die Augen. »Und jetzt ins Kino«, sagte er.
Hinter der renovierten Gaststube lag der nun weiß ausgemalte kleine Saal. Nach und nach richteten wir ihn ein. Wir stellten Stuhlreihen auf und schließlich den Projektor. Ein gespanntes Bettlaken diente als Projektionsfläche. Einen Tag vor Weihnachten luden wir zur Kinderfilmpremiere ein: »Charlie Chaplin und der kleine Muck. Eintritt fünf Pfennige«.
Natürlich traten Charlie Chaplin und der kleine Muck nicht zusammen auf, es waren zwei Filme, unser gefundener Film »Hundeleben« und ein Märchenfilm.
An den Projektor waren wir im letzten Augenblick gekommen. Unser Vater hatte uns den Restbetrag zugeschossen – als Weihnachtsgeschenk. In der Kolonnenstraße gab es einen Heimkino-Laden, wie wir von Benjamin wußten. Die Inhaberin nannten wir »das Plumpsklo«. Wenn sie lachte, machte sie einen runden Mund wie das Loch im Brett der Klos auf dem Land oder in der Laubenkolonie. Und das Lachen kam aus ihr heraus – ich zitiere Joachim – »wie die Kötel aus einem Arschloch«. Aber eigentlich war sie eine ganz hübsche Frau, die uns bei unseren Dutzend Besuchen geduldig alles erklärte, was man über Projektoren und Filmerei wissen mußte.
Dank Vaters Weihnachtsspende entschieden wir uns für einen Bing-Projektor mit Elektromotorantrieb, Lichtbogenlampe und geschlossenem Kühlgebläse. Benjamin war um Längen geschlagen. Seinen Handkurbelapparat konnte er sich an den Hut stecken samt der langweiligen Filme, die es bei ihm zu sehen gab.
Erst jetzt, da ich unsere Geschichte erzähle, eine alltägliche Geschichte ohne Besonderheiten, fällt mir auf, daß wir keine Freunde hatten. Anneli spielte mit ihren Puppen und ausgestopften Hunden und mit Zeppelin, den sie nach wie vor »Zellepin« rief. Wir Jungs, Joachim und ich, waren in unseren Kinowahn verstrickt, Freundschaften hatten da nicht Platz. Nur mit Sternchen Siegel waren wir in einer besonderen Weise befreundet. Er übernahm immer mehr Aufgaben im Schützenhaus, undjeden Morgen fuhr er mit seinem blankgeputzten Rennrad vor. Aber er war älter als wir, eine Institution mehr als ein Freund, obwohl er uns half, wo er nur konnte.
Sternchen Siegel hatte auch mit uns zusammen den zerlegten Projektor von der Kolonnenstraße zum Schützenhaus herausgeschleppt und geholfen, ihn zusammenzubauen. Plumpsklo hatte uns geraten, Spulenaufsätze für mehrere Systeme zu nehmen, denn damals wurden Filme mit unterschiedlichen Spulen angeboten, fünfunddreißig Millimeter und neuneinhalb breit, und noch mehrere andere Formate.
Zur Kinopremiere hatten wir unsere Mitschüler eingeladen und überall Plakate angeschlagen. Ungefähr zwanzig Kinder saßen im Saal, manche begleitet von ihren Müttern. Wir hatten dreißig Stühle aufgestellt, der kleine Saal war voll.
»Ich glaube, ich habe ein bißchen Lampenfieber«, sagte Joachim. Dann knipste ich das Licht aus, unsere erste Vorführung begann. Der Projektor summte, auf der Leinwand erschienen schwärzliche Streifen. Sternchen Siegel, der neben uns stand, flüsterte: »Wie im Ruhrjebiet, wenn’t regnet.« Dann jedoch: heftiges Flackern, irgend etwas nicht Erkennbares, Joachim regulierte die Scharfeinstellung, und da war er: Charlie Chaplin. Unser Charlie aus dem Schützenhaus-Filmkarton.
Wir wickelten, ich bin heute noch stolz darauf, das Programm
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