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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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selbstgefälligem Lächeln. »In Phnom Penh werden Sie schwerlich jemanden finden, der über den Fall besser Bescheid weiß. Leider kann ich nicht mein Leben damit verbringen, die Neugier aller Besucher zu befriedigen.«
»Das heißt?«
»Ich werde Ihnen drei Fragen beantworten«, sagte Rouvères eitel. »Wie im Märchen. Suchen Sie sich was aus. Ich bin der ›gute Geist‹ der Wunderlampe.«
Der gute Geist hatte derart ausgeprägte Tränensäcke unter den Augen, dass es Mark in den Fingern juckte, mit einer Nadel hineinzustechen. Was sie enthielten, war freilich leicht zu erraten: Whisky oder Cognac … Er zerbrach sich den Kopf nach einer Frage, die ihm eine möglichst aufschlussreiche Antwort lieferte, doch es fiel ihm nichts Rechtes ein. Aus einer plötzlichen Eingebung heraus sagte er: »Ich würde gern ein Foto sehen.«
»Ein Foto?«
»Ja, ein Porträt von Linda Kreutz, als sie noch am Leben war.«
Die Bitte war völlig absurd – er hatte das Gesicht des Opfers doch schon gesehen und konnte sich keine neuen Erkenntnisse davon versprechen. Dennoch hoffte er, sie dadurch ein wenig besser kennen zu lernen.
»Kein Problem.«
Rouvères stieg über das Computergrab und die ausgeweideten Sessel hinweg wie ein Fischer, der mit hohen Gummistiefeln durch schlammiges Wasser watet. Er öffnete einen Metallschrank an der Wand gegenüber, dessen Fächer mit braunen Umschlägen vollgestopft waren.
Darin kramte er eine ganze Weile und zog schließlich ein Foto aus einem Umschlag, das er ihm reichte. Mark betrachtete das Bild. Es erinnerte nur entfernt an das erste Foto, das Vincent aufgetrieben hatte: Darauf war wegen des groben Rasters kaum etwas zu erkennen gewesen. Jetzt hielt er einen scharfen Farbabzug im Format 21 auf 29,7 in der Hand.
Darauf posierte Linda Kreutz mit einem jungen Mönch in leuchtendem Orange. Das gleiche Lächeln verband die beiden, wie ein Seidenband zwei Blumen. Sie trug eine weite Pluderhose, Ledersandalen, ein ärmelloses weißes Oberteil und sah aus wie ein Blumenmädchen der Siebziger. Anrührend.
Wirklich ergreifend aber war ihr Gesicht.
Eine von Sommersprossen übersäte milchig weiße Haut und duftiges rotes Haar, das wie eine Wolke den Kopf umschwebte und das Gesicht halb verdeckte, sodass sie wie ein scheues kleines Säugetier wirkte, neckisch und furchtsam zugleich. In dem Moment, den die Kamera festgehalten hatte, strahlte ihr Gesicht vor Glück. Mark konnte nicht umhin, sich die Träume dieses Mädchens vorzustellen, das mit zweiundzwanzig Jahren vom elterlichen Haus in Hamburg aufgebrochen war – sicher auf der Suche nach Abenteuern, spirituellen Erfahrungen, aber auch der großen Liebe … Mit alkoholheiserer Stimme sagte Rouvères: »Das Foto wurde in ihrem Hotel in Siem Reap bei ihren Sachen gefunden.«
Auf einmal begriff Mark, weshalb sie so strahlte: Das Lächeln galt natürlich der Person hinter der Kamera. Bei dem Gedanken, dass vielleicht Reverdi selbst der Fotograf gewesen war, überlief es ihn kalt.
»Ich warte auf Ihre zweite Frage«, erinnerte ihn Rouvères.
Diesmal musste ihm etwas Besseres einfallen. Er überlegte, das Rätsel zur Sprache zu bringen, das ihm selbst aufgegeben war, die Wegmarken der Ewigkeit, besann sich aber: Dieser Ausdruck war seine Privatsache, etwas ganz Persönliches, auch wenn es ihm niemals gelingen sollte, auf die Lösung zu kommen. Nie und nimmer würde er mit einem fremden Menschen darüber sprechen.
Er erinnerte sich an Reverdis letzte Anweisung: »Such das Fresko.« Vielleicht war damit gar kein echtes, gemaltes oder in Stein gemeißeltes Ornament gemeint, sondern das Muster der Einschnitte? Vielleicht riet ihm Reverdi, sich mit der Leiche von Linda Kreutz zu befassen, damit er diesmal die Bedeutung der »Wegmarken« begriff? … Ohne weiter über die Hypothese nachzudenken, sagte er: »Erzählen Sie mir was über die Wunden.«
»Bisschen präziser bitte.«
»Die Wunden an der Leiche von Linda Kreutz. Waren sie symmetrisch? War auf dem Körper eine Art … Muster zu erkennen?«
Rouvères schien nachzudenken.
»Die Leiche hat mehrere Tage im Fluss gelegen«, antwortete er schließlich. »Sie war schon stark verwest.«
»Das Wasser konnte die Verletzungen nicht beseitigen.«
»Das Wasser nicht. Die Aale schon.«
»Wie bitte!?«
»Die Leiche war voller Süßwasseraale. Sie waren durch sämtliche Körperöffnungen, auch durch die Messerstiche, in den Bauchraum eingedrungen. – Übrigens, da Ihnen so viel an den Details liegt: Der Körper war von

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