Das schwarze Blut
sind Sie hier? Um noch einen Artikel über mein Privatleben zu schreiben?«
Mark antwortete nicht. Vanasi war genau so, wie er sie in Erinnerung hatte. Eine unbewegte, undurchschaubare Miene. Tiefschwarze Mandelaugen. Ein ernster, abwesender Blick, in dem es manchmal aufblitzte – wie ein Wetterleuchten zwischen Gewitterwolken. Und in den stets leicht angehobenen Brauen lag etwas Schwärmerisches.
»Ich recherchiere im Fall Jacques Reverdi«, sagte er, weil er ahnte, dass er nicht lang um den heißen Brei herumreden durfte.
»Sie haben im Prozess für ihn ausgesagt.«
Sie nickte, ohne das geringste Anzeichen von Verwunderung. Er fuhr fort:
»Ich komme aus Malaysia, wo er wegen Mordes an einer jungen Frau im Gefängnis sitzt. Es steht außer Zweifel, dass er der Täter ist. Und ich glaube, dass seine Schuld auch hier in Kambodscha erwiesen war.«
Sie ließ schweigend den Blick über die Gärten wandern. Mark versuchte sie aus der Reserve zu locken:
»Wäre er 1997 nicht auf freien Fuß gesetzt worden, dann wäre in Malaysia eine Frau noch am Leben.«
Sie ging ein paar Schritte am Geländer entlang. In dem bodenlangen Kleid schien sie über den Marmor zu gleiten.
»Sie erinnern sich an meine Geschichte, nicht wahr?«
Mark gab keine Antwort.
»Ich habe alles besessen und alles verloren …« Sie deutete ein Lächeln an und strich mit der Hand über die Balustrade.
»Ausgleichende Gerechtigkeit in gewissem Sinn. Ich war Prinzessin, Primaballerina und göttliches Wesen. Ich habe in königlichem Luxus geschwelgt und das Leben eines Stars geführt. Dann habe ich das Exil kennen gelernt. Die Trostlosigkeit von Peking. Das unvorstellbare Regime Nordkoreas, wo mein Onkel seine Filme drehte.«
Mark erinnerte sich an dieses unglaubliche Detail. Außer seiner Machtbesessenheit hatte Prinz Sihanouk nur noch eine Leidenschaft: das Kino. Er drehte Filme, romantische Melodramen, und besetzte die Rolle mit Ministern und Generälen, aber auch westlichen Botschaftern, die »Ausländer« spielen sollten.
»Ich habe erfahren, was entfesselte Mordlust anrichtet«, fuhr Prinzessin Vanasi fort. »Den Völkermord der Roten Khmer habe ich nicht mit eigenen Augen gesehen, aber ich wusste, was hier geschah. Die Massenflucht, die Hungersnot, die Zwangsarbeit. Säuglinge mit Bajonetten erstochen, Männer und Frauen mit Knüppeln erschlagen und die Leichen im Sumpf versenkt. 1979 bin ich in die Flüchtlingslager an der thailändischen Grenze zurückgekehrt. Ich wollte bei meinem Volk sein.
Es hieß, ich sei zurückgekommen, um Tanz zu unterrichten, den Menschen Mut zu machen, unsere Kultur zu retten. Das stimmt nicht: Ich bin zurückgekommen, um mit meinem Volk zu sterben. Wir waren fast eine Million, mitten im Dschungel, ohne Nahrung und ohne medizinische Versorgung. Wen interessierten damals die Tänze der Khmer?
Erst später, in den neunziger Jahren, bin ich nach Kambodscha zurückgekehrt, wo ich mich seither um den Erhalt unserer Kultur und unserer Baudenkmäler bemühe, vor allem in Angkor. Jacques Reverdi war einer der Minenräumer.«
Sie schwieg, in Gedanken versunken. Nach einer Weile fuhr sie in traumverlorenem Ton fort: »Ganze Abende hat er mir vom Tauchen erzählt. Von seinen Aufenthalten in der Tiefe, vom Gedächtnis der Korallen, der Intelligenz der Meeressäuger. Genauso begeistert war er von der Tempelarchitektur. Er war ein wirklich … außergewöhnlicher Mensch.«
Mark dachte an die exakt platzierten Messerstiche an der Leiche von Pernille Mosensen. An die Aale in der toten Linda Kreutz. Außergewöhnlich, in der Tat. Wie konnte diese Frau derart die Augen verschließen?
»Genau das habe ich im Prozess ausgesagt«, setzte sie knapp hinzu. »Das genügte, um die Anklage zu Fall zu bringen. Dem ist nichts hinzuzufügen.«
»Ich glaube, dass vor allem Ihr Auftritt vor Gericht den Ausschlag gegeben hat. Dass Sie sich die Mühe gemacht haben, persönlich zu erscheinen, um ihn zu verteidigen.«
»Nein. Die Anklagepunkte ließen sich nicht aufrechterhalten. Es gab keine direkten Beweise. Man kann einen Menschen nicht verurteilen, solange ein Zweifel an seiner Schuld besteht.«
»Und was denken Sie heute?«
Sie blickte auf den Boulevard, das Getöse der Stadt hinab. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass er es gewesen ist.«
»Hoheit, er wurde auf frischer Tat ertappt. Papan hat ihn neben der Leiche überrascht.«
»Dann war er nicht allein.«
Mark fuhr auf. »Wie bitte?«
»Dann gibt es noch einen zweiten Mann.«
Mark verschlug es den
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