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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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innen her ausgeweidet. Letzte Frage?«
Wieder eine Sackgasse. Es gab nur noch eine einzige Möglichkeit, um dem Säufer irgendwelche Informationen zu entlocken. Rouvères schien Marks Verlegenheit zu spüren. Er kramte zwischen den Zeitungsstapeln und zog schließlich mehrere Ausgaben des Cambodge Soir hervor:
»Bitte sehr«, sagte er, während er ihm die Zeitungen reichte, »das ist die Artikelserie über das Thema. Die Entdeckung der Leiche. Reverdis Festnahme. Die Erkenntnisse der Fahnder, die alle in dieselbe Richtung weisen. Es steht alles drin. Lesen Sie’s, bevor Sie Ihre letzte Chance vertun. Und kommen Sie morgen wieder.«
Aber Mark hatte keine Zeit. Verwirrt stand er da und starrte auf die Zeitungen, als könnte er mit einem einzigen Blick den gesamten Inhalt erfassen. Plötzlich kam ihm ein Gedanke:
»Geben Sie mir eine Antwort«, sagte er.
»Was soll das heißen?«
»Eine Antwort Ihrer Wahl. Eine, die mich wirklich weiterbringt.«
Rouvères grinste. Die Tränensäcke unter seinen Augen runzelten sich. »Sie mogeln, mein Lieber.«
»Tun Sie so, als ob ich Ihnen die Frage gestellt hätte.«
Der Redakteur neigte sich zurück, wie um den Vorschlag zu erwägen, und schwieg lange.
»Das eigentlich Rätselhafte an der Geschichte«, murmelte er schließlich, »sind die Gründe für Reverdis Freilassung. Die Fahndung hat ihn zweifelsfrei als Täter überführt. Wieso wurde das Verfahren trotzdem eingestellt?«
Mit dieser juristischen Wendung hatte Mark nicht gerechnet. Er dachte an die Erklärungen des deutschen Anwalts: die Unfähigkeit der Richter, der nachlässige Prozess, die politische Situation.
»Wegen der Lage in Kambodscha, oder?«, vermutete er.
»Ja, aber nicht nur. Reverdi wurde durch eine Zeugenaussage entlastet.«
»Sie meinen: ein Alibi?«
»Nein, ein Leumundszeugnis. Eine hoch gestellte Persönlichkeit hat sich für ihn eingesetzt.«
Das war ihm neu. »Wer?«
»Eine Prinzessin. Ein Mitglied der Königsfamilie.«
»Prinzessin Vanasi?«
Der Name war ihm spontan eingefallen. Von allen Angehörigen adliger Häuser, die er je kennen gelernt hatte, war sie die beeindruckendste Erscheinung gewesen. Eine lebende Legende. Rouvères lächelte bewundernd.
»Ich habe vor ein paar Jahren eine Reportage über die Königsfamilie gemacht«, erklärte Mark.
Rouvères nickte zögernd, was seine fedrigen Haare in zitternde Bewegung versetzte.
»Sie hat Reverdi im Rahmen eines Sanierungsprojekts in der Tempelanlage von Angkor kennen gelernt. Sie hat zu seinen Gunsten ausgesagt, ihn als einen engagierten, gebildeten und hochherzigen Mann beschrieben. Diese Charakterisierung hat das Gericht umgestimmt – das lief ja auf eine königliche Amnestie hinaus. Wenn Sie die Prinzessin kennen, sollten Sie sie besuchen – ihre Sichtweise ist recht … eigenwillig.«
KAPITEL 48
    Es war zwei Uhr nachmittags. Als der Königspalast seine Tore öffnete, kaufte Mark eine Eintrittskarte. Die beste Tarnung: sich als anonymer Tourist ausgeben. Er hatte sich sogar eine Art Umhängetasche zugelegt, um seine Harmlosigkeit zu unterstreichen.
    Es blieb ihm keine andere Wahl. Denn ein Detail hatte er Rouvères wohlweislich verschwiegen: dass er bei der Königsfamilie persona non grata war, nachdem er bei seiner Reportage die hoch und heilig versprochene Diskretion – wie gewöhnlich – nicht gewahrt hatte. Wahrscheinlich stand sein Name auf der schwarzen Liste der Protokollabteilung. Deshalb hatte er sich einen tollkühnen Plan ausgedacht, um in die Privatgemächer der Prinzessin zu gelangen und sie dort zu treffen.
    Auf dem schmalen, nicht überdachten Weg zum großen Tor in der Palastmauer schloss sich Mark dem Strom der Besucher an. Als er das Portal durchschritten hatte, stand er auf einem weiten, von gepflegtem Rasen bedeckten Platz zwischen goldfunkelnden Tempeln und Pavillons, deren Dächer im Sonnenlicht wie von Diamanten bestreut blitzten.
    Vorbei an den Touristen, die vor jeder Pagode stehen blieben, ging er zielstrebig auf einen Laubengang zu.
Geschützt vor der Sonne, folgte er der Galerie, die zu den Türmen des Chanchaya-Pavillons führte: Dort hoffte er die Prinzessin anzutreffen. Eine hohe Mauer trennte die Privatsphäre der Königsfamilie vom öffentlich zugänglichen Bereich ab.
Auf seinem Weg durch die Galerie, wo er nach einem Durchgang, irgendeiner Lücke in der Mauer Ausschau hielt, kam er zu einer zweiflügeligen Holztür, die halb offen stand, doch mit einer Kette versperrt war; zwei Soldaten hielten davor Wache.

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