Das schwarze Blut
Kiefer mahlten, unermüdlich, mechanisch, als säße ihnen ein Dämon im Mund, während der Rest des Körpers abgestorben war.
»Der dross «, erklärte Éric leise, »die Schlacken aus der Opiumpfeife. Das Zeug ist dermaßen hart, dass man es nicht mehr rauchen kann. Deshalb essen sie es. Um den letzten Rest Dröhnung zu kriegen, kauen sie’s so lange, bis sie’s schlucken können …«
Reverdi packte wieder die Wut.
»Ich hab jetzt die Schnauze voll von deiner Besichtigungstour«, fuhr er ihn an. »Du sagst mir sofort, was wir hier sollen!«
Die Hasenscharte verzog sich zu einem Lächeln. Ein nass glänzender Fischkopf.
»Reg dich ab. Wir sind schon da.«
» Wo denn, verdammt?«
Éric deutete nach links, auf das Ende der Röhre. Dort saß mit angezogenen Knien ein schlotternder Schatten. Reverdi beugte sich vor. Es war Hadschdscha, das Papasöhnchen, das Mamas Geld mit Drogen verjubelte, während der Vater ihn auf dem Weg der Besserung glaubte. Er war nicht wiederzuerkennen. Haut und Knochen. Tief eingesunkene Augen. Er schniefte ununterbrochen.
»Er wollte den Oberschlauen spielen«, murmelte Éric, »und mit den Chinesen direkt ins Geschäft kommen. Zur Strafe hat Raman seinen Vater herzitiert und ihm alles gesteckt. Die heimliche Kohle, das Dope, alles. Und der Vater hat den Geldhahn zugedreht. Seit fünf Tagen sitzt Hadschdscha auf dem Trockenen. Und ist über beide Ohren verschuldet.«
Reverdi dachte daran, wie ihn der Knabe um Hilfe angebettelt hatte. »Kannst du mir verraten, was mich das angeht?«
»Wenn er nicht zahlt, hetzen ihm die Chinesen die Filipinos auf den Hals …«
Jacques wandte sich wortlos ab. Éric hielt ihn am T-Shirt fest, doch Reverdi fuhr herum, packte ihn an der Gurgel und stieß ihn gegen die gekrümmte Wand.
»Halt’s Maul«, zischte er, »sonst …«
»Tu was«, bedrängte ihn der Zwerg. »Nur du kannst was tun. Red mit den Chinesen. Sie sollen ihm seine Schulden stunden. Am Ende wird der Vater schon blechen.«
Reverdi ballte die Faust, um ihm endgültig die Hasenscharte einzuschlagen, doch im selben Moment überkam ihn eine Vision, die ihn jäh erstarren ließ: Über Érics abscheulicher Fratze sah er auf einmal die wunderschönen Gesichtszüge Elisabeths. Ihre schwarzen, ein wenig asymmetrischen Augen, die braune Haut, von der sich ihr blasses Lächeln kaum abhob … Warum sich etwas vormachen? Er liebte sie. Er war verrückt nach ihr: Er konnte sie nicht fallen lassen.
Er ließ Éric los, der an der gekrümmten Wand abwärts rutschte. Sein Entschluss stand fest. Die Chance hatte nicht Hadschdscha verdient, sondern die Geliebte. Sie sollte einen weiteren Hinweis bekommen. Wenn sie es schaffte, würde er den Knaben retten.
»In zwei Tagen hast du meine Antwort«, sagte er.
KAPITEL 46
Grün war die Farbe von Kuala Lumpur.
Phnom Penh hingegen war grau.
Die breiten Ausfallstraßen waren von betongrauen flachenGebäuden gesäumt. Auch die Blätter der Bäume, deren Kronen so ausladend waren, dass sie fast den Asphalt berührten, waren grau. Desgleichen das Gewusel unzähliger Fahrräder, Mofas und Fahrradrikschas. Und die Sarongs ihrer Fahrer flatterten im Wind wie aschgraue Fahnen.
Als Mark um siebzehn Uhr in Phnom Penh aus dem Flugzeug gestiegen war, hatte er seine Uhr vorstellen müssen: Hier war es eine Stunde früher als in Kuala Lumpur. In Wahrheit war er ein oder zwei Jahrhunderte in die Vergangenheit gereist. Hier gab es keine Hochhäuser mit Glasfassaden, keine Geschäftspassagen, keinen Konsumrausch. Der asiatische Traum hatte hier sehr viel bescheidenere Ausmaße – die schmalen Schultern der Khmer. Die Wirtschaftsentwicklung steckte noch in den Kinderschuhen. Hier war das uralte, ursprüngliche, das menschenwimmelnde Asien.
Innerlich jubelnd saß Mark im Taxi. Noch am Morgen war er sicher gewesen, dass alles vorbei sei: Reverdi hüllte sich in Schweigen, die Vereinbarung zwischen ihnen galt nicht mehr. Den ganzen Montag war er unschlüssig gewesen, was er tun sollte: noch einmal die Cameron Highlands aufsuchen? Auf eigene Faust weiter ermitteln? Nach Paris zurückkehren und sich geschlagen geben? Doch er konnte sich nicht mit seiner Niederlage abfinden.
Am Dienstagnachmittag hatte er kapituliert. Schweren Herzens hatte er bei Malaysian Airways angerufen, um sich nach Rückflügen zu erkundigen, und einen Platz reserviert.
Als er am folgenden Tag seine Mailbox öffnete, um seine Reservierung zu überprüfen, fand er eine Nachricht von Reverdi.
Eine absolut kryptische
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