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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Atem. Er lehnte sich an eine Säule. Sie kam auf ihn zu und sagte in unbeirrtem Ton: »Jemand zwingt ihn zu seinen Taten oder handelt an seiner Stelle. Ein böser Dämon, der ihn vollkommen beherrscht. Davon wird mich niemand abbringen. Jacques Reverdi ist kein Einzeltäter.«
Mark war sprachlos. In seinem Kopf färbte sich das weiße Sonnenlicht auf einmal bläulich und ließ bislang verhüllte Abgründe sichtbar werden. Natürlich – Reverdi hatte immer in der dritten Person von dem Mörder gesprochen. Was, wenn »ER« tatsächlich existierte?
Er dachte an den großen Abwesenden der Geschichte: Jacques’ Vater. Vielleicht war er noch am Leben? Vielleicht war er ein Mörder, wie Dr. Norman vermutete, und zwar ganz konkret, nicht nur in Reverdis Vorstellung?
Doch gleich darauf verwarf er seine Hypothesen wieder. Er musste sich an die Spuren halten – und an Reverdis kryptische Botschaften.
Prinzessin Vanasi ging auf die Gärten zu. Mark folgte ihr hastig.
»Bitte, Hoheit … noch eine letzte Frage.«
»Ich höre.«
»Wissen Sie, warum sich Reverdi für Schmetterlinge interessiert?«
Sie blieb abrupt stehen: »Schmetterlinge? Woher haben Sie das?«
»Nun, ich … Mir schien, dass er im Wald …«
»Schmetterlinge? Niemals! Jacques interessierte sich für Bienen.«
»Ach!«
»Ja, für Bienen und Honig. Vor allem für einen sehr seltenen Honig mit speziellem Namen – ich erinnere mich nicht, wie er hieß.«
Mehrere Bilder stürmten auf Mark ein. Die am Straßenrand kauernden Eingeborenen, die in Coca-Cola-Flaschen ihren Honig feilboten. Die Honigfläschchen auf Wong-Fats Terrasse. Die Lösung hatte ihm direkt vor den Augen gelegen, und er hatte sie nicht gesehen.
»Wegmarken, die schwirren und schwärmen.«
»Suche am Himmel.«
Bienen.
Und Honig.
Mit ausgedörrter Kehle fragte er: »Woher hat er sich diesen Honig besorgt? Ich meine: hier in Kambodscha?«
»Das weiß ich nicht genau … In Angkor, glaube ich. Dort gibt es einen berühmten Imker. ›Meister des Goldes‹ nennt man ihn.«
Die Punkte fügten sich zu einer vollendeten geometrischen Figur zusammen.
Honig.
Angkor.
Linda Kreutz.
Mark verabschiedete sich hastig von der Prinzessin und entfernte sich fast im Laufschritt. Einen Moment lang war er versucht, über die Balustrade direkt auf den Boulevard hinunterzuspringen.
KAPITEL 49
    Nicht lang danach saß er im Flugzeug. Ein Inlandsflug, Zielort Siem Reap.
Völlig überhitzt.
Vierzig Minuten in der Luft, während deren er kein einziges Mal von seinem Notizblock aufblickte. Er brachte seine Schlussfolgerungen zu Papier. Oder vielmehr seine Vermutungen.
Der Mörder war fasziniert von Honig. Und das Blut von Pernille Mosensen hatte einen außergewöhnlich hohen Zuckergehalt. Er hätte wetten können, dass Reverdi seinen Opfern große Mengen Honig einflößte. Aber wozu? Eine Ahnung sagte ihm, dass der Honig eine läuternde Rolle während des Rituals spielte.
Prinzessin Vanasis Worte über Reverdis »Außergewöhnlichkeit« gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf.
Reverdis pantheistisches Weltbild. Der Honig passte gut hinein.
Er schrieb:
»Trinkt das Blut seiner Opfer nicht. Gibt ihnen Honig, um sie zu reinigen, sie zur Natur zurückzuführen. Süßes Blut hüllt das Opfer ein wie das Fruchtwasser den Fötus.« Reverdi erschien ihm zusehends als »umweltbewusster Mörder«.
Ein Ökomörder?
Ein Mystiker vor allem.
Mark erkannte in der Natur des Honigs eine Verwandtschaft mit einer sehr alten religiösen Dichtung, mit der er sich im Rahmen seiner Magisterarbeit beschäftigt hatte, einer zweideutigen Dichtung voller Erotik: dem Hohen Lied Salomos.
Das war das klassische Vorbild. In eine Ecke kritzelte Mark ein Zitat:
    » Von deinen Lippen, Braut, tropft Honig; Milch und Honig ist unter deiner Zunge. «Er kannte diesen biblischen Text auswendig, der immerfort Flüssigkeiten als Metaphern heranzieht: Blut, Wein, Milch, Honig … Und auf die Wohlgerüche der Natur zurückkommt: Myrrhe, Lilie, Weihrauch … Auch Reverdi griff zur Vereinigung mit seinem Opfer auf Uressenzen zurück.
    Es war ein Liebesakt.
Eine zugleich kosmische und erotische Zeremonie. Mit zitternder Hand schrieb Mark: »Recherchieren:
    physiologische Prozesse im Zusammenhang mit Honig.« Welche Menge an Honig musste man zu sich nehmen, damit der Blutzuckerspiegel so stark anstieg wie bei Pernille Mosensen? Wie lange dauerte es, bis der Zucker wieder abgebaut war? Hielt Reverdi seine Opfer tagelang gefangen? Oder nur ein paar Stunden?
    Vor allem musste er

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