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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Straßenbiegung tauchte es auf, grenzenlos, funkelnd, still. Das Bild schlug ihn in Bann. Nichts wirktevernichtender auf seine Raserei als diese unendliche, freie, gleichgültige Großartigkeit. Und es geschah noch etwas, das seine trüben Gelüste endgültig versiegen ließ.
    Aus den Bordellen traten jetzt die Mädchen auf die taghelle, von fettigen Papieren und leeren Flaschen übersäte Straße hinaus, eine ganze Prozession. Sie hatten keine Ähnlichkeit mehr mit den entfesselten Vamps der Nacht, sondern kamen ungeschminkt, mit feuchten Haaren, in schlichten Sarongs. Alle trugen eine Schale Reis in der Hand, die sie auf der Straße abstellten. Mark verstand nicht, was das bedeuten sollte, doch dann begriff er.
    Denn nun tauchten, federleicht im Morgenwind wie zarte Lampions aus Papier, kahl rasierte Gestalten in orangefarbenen Gewändern auf: die Mönche. Manche hielten einen Schirm, andere gingen paarweise untergehakt, alle waren unwirkliche Erscheinungen auf diesem noch rauchenden Schlachtfeld. Mit geneigtem Kopf nahmen sie die Gaben entgegen, während die Mädchen, die Hände vor der Stirn zusammengelegt, vor ihnen knieten. Die Stunde des Gebets und des Verzeihens …Sprachlos stand Mark in der Sonne.
Restlos ernüchtert.
Trotzdem gab die Schlange tief unten in seinem Bauch noch keine Ruhe.
    Kaum war Mark in sein Zimmer zurückgekehrt, meldete sich das Brennen von Neuem und riss und zerrte an ihm. Schnurstracks ging er ins Bad, klappte den Plastiksitz herunter und fing an zu masturbieren. In seinem Kopf brachen sich chaotische Bilder Bahn – vom Leib gerissene Kleidungsstücke, entblößte Brüste, nackte Schamteile, zum Greifen nah, unwiderstehlich … Seine Fantasie gaukelte ihm Fleischstücke vor, die aufgereiht an Metzgerhaken hingen, wie frisch entwickelte Fotos auf der Leine. Er vergewaltigte junge Mädchen. Drang brutal in sie ein und weidete sich an ihren Tränen, ihrer Erniedrigung. Es war widerlich, doch irgendwo im Hintergrund, in den Kulissen seines Theaters registrierte er mit Erleichterung: keine Mordszenen, keine Verstümmelungen.
    Wenigstens stand er nicht auf Blut.
    Endlich kam in langen, krampfhaften Erschütterungen die Befreiung. Es war etwas Krankes an diesem Abspritzen. Als würde eine eitrige Wunde gereinigt. Er fühlte sich erleichtert. Mehr als erleichtert: verwandelt. Er hatte nichts mehr mit diesem Irren gemein, der er noch ein paar Sekunden vorher gewesen war.
    Wie allen Männern war ihm dieses Gefühl lang vertraut: dieser totale Bruch, die scharfe Grenze zwischen dem Feuer des Verlangens und der Rückkehr zur Vernunft. Diesmal allerdings war die Wandlung besonders krass: Er war buchstäblich ein anderer Mensch. Stumpfsinnig saß er da, betrachtete seine spermaverklebten Finger und begriff nicht, was geschehen war.
    Allerdings kam er jetzt zu einem Schluss, was Reverdi betraf: Ihm erging es gewiss genauso. Solange ihn sein Vernichtungswahn antrieb und nach Befriedigung schrie, kannte er nichts anderes mehr. Dann war das gesamte Universum seinen Wahnvorstellungen unterworfen. Später, wenn der Totentanz vorbei war, versank er vermutlich in einer Art Stupor und fragte sich ungläubig, was geschehen war. In diesem Zustand hatten ihn die Fischer von Papan angetroffen: als hätte er die Leiche von Pernille Mosensen im selben Moment wie sie entdeckt. Noch immer unter Schock saß er, ein grauer, an den Stuhl gefesselter Mann, im Ordinationszimmer der Klinik und sagte immer wieder: »Das war ich nicht …« Die Erkenntnis der Tat löste zweifellos eine dumpfe Panik in ihm aus. Dass sie sein Werk war, verdrängte er …Vielleicht war es letztlich ganz einfach, einfacher, als Mark sich vorgestellt hatte. Jacques war allein, im konkreten wie im übertragenen Sinn. Er hatte keinen Komplizen. Er war nicht schizophren. Er war nur das Opfer krankhafter Triebe, die, kaum erwacht, Befriedigung forderten: ohne Widerrede.
    Wenn er indessen sein Opfer aussuchte, wenn er seinen Honig kaufte, seine Kammer der Reinheit vorbereitete und sämtliche Ritzen mit Bast verstopfte, dann war er sehr wohl bei Verstand. Er bereitete seine Zeremonie in allen Einzelheiten vor, wissend, dass der Wahnsinn irgendwann zuschlagen würde und er nicht mehr anders konnte als zu gehorchen. Vielleicht verhielt es sich nicht anders als bei manchen Urvölkern, die in Erwartung eines »Tigergottes« oder eines »King Kong«, der seinen Tribut an Frischfleisch einfordern wird, den Opferaltar bereiten.
    Vielleicht war Reverdi

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