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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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die brütende Hitze in der Hütte. Er nahm Duftschwaden wahr, Gerüche aus weiter Ferne, in denen staubtrockene Erde und feuchtigkeitssatter Urwald mitschwangen. Wieder kam ihm ein Vers aus dem Hohen Lied in den Sinn:
    » Wer ist sie, die da aus der Steppe heraufsteigt in Säulen von Rauch, umwölkt von Myrrhe und Weihrauch, von allen Wohlgerüchen der Händler? «Reverdi versenkte zum ersten Mal das Messer im Körper der Frau. Er stach in die Kehle, und Mark schrie auf: Bis in seine Finger hinein hatte er gespürt, wie die Klinge auf einen Wirbel traf. Er floh aus der Hütte und stürmte davon, mitten durch die Bambushalme, die er unter seinen Schritten niedermähte. In seinen Ohren klang das Stöhnen des geknebelten Opfers. Um siebzehn Uhr wartete Mark, zur Abfahrt bereit, an der Schiffsanlegestelle von Koh Surin. Ein Tourist wie alle anderen. Seine Hände zitterten nicht, seine Miene war ruhig. Er staunte selbst über seine Kaltblütigkeit. Niemand hätte ihm angemerkt, welches Erlebnis er hinter sich hatte. Als das Speedboat ablegte, setzte er sich wie bei der Hinfahrt ins Heck und sah zu, wie das Land sich entfernte.
    Mit gedrosseltem Motor umrundete das Schiff die Ostküste der Insel. Mark folgte mit dem Blick der Strecke, die er zu Fuß zurückgelegt hatte. Wieder vernahm er das Rascheln des Bambus im Wind, fühlte die Blätter über sein Gesicht streichen, spürte das grüne Wogen, in dem er geschwommen war.
    Und er begriff noch etwas.
Dass er genau diese Richtung eingeschlagen hatte, war ihm zunächst wie eine zufällige Eingebung erschienen. Doch in Wahrheit hatten Reverdis letzte Worte, ohne dass er es wusste,in ihm nachgeklungen: »Finde die Bewegung inmitten der Vegetation, und du wirst die Kammer entdecken …«Der Bambus.
Das war die entscheidende Spur gewesen.
Es fielen ihm noch andere Fakten ein. Auch die Hütte inPapan, in der Pernille Mosensen getötet worden war, stand in einem Bambuswald. Der Schmetterlingsjäger in den Cameron Highlands hatte Reverdi mehrmals in einem Bambuswald überrascht. Und Mark hörte wieder das Summen der Bienen, das sein Gespräch mit dem Imker in Angkor begleitet hatte: so ähnlich dem Rascheln der Blätter.
    Reverdi tötete im Schatten des Bambus.
Mark war jetzt sogar überzeugt, dass der Bambus eine entscheidende Rolle bei dem Ritual spielte. Wirkte er läuternd? Musste man ihn durchqueren, um sich von der minderen Welt zu reinigen? Oder bewirkte er im Gegenteil eine Zuspitzung? War er ein Auslöser, der Reverdi an ein Trauma erinnerte und in ihm das Bedürfnis zu töten weckte? Wieder spürte Mark die zarte Berührung der Blätter auf seiner Haut – eine merkwürdige Liebkosung, die an teilnahmslose Hände erinnerte …Das Boot fuhr jetzt auf offener See. Mark schloss die Augen und überließ sich seinen Gedanken. Er versetzte sich in Reverdi: Wenn der Wald ringsum zum Leben erwachte, wenn auf seinem Weg die Schatten tanzten, wenn ihm die Blätter über die Schläfen strichen, dann war es so weit, dann packte ihn der Wahnsinn. Dann keimte die Mordlust in ihm auf, um wie eine giftige Blüte hervorzubrechen.
    Mark öffnete die Augen und betrachtete die übrigen Passagiere. Lauter unbekannte Gesichter. Er hatte es eilig, in die Sicherheit seines Wagens zurückzukehren, er wollte nach Phuket. Dort würde er alles Erlebte seinem Computer anvertrauen – und in die Handlung seines Romans einflechten.
    Und plötzlich fiel ihm auf, dass er ja noch gar keinen Titel für seinen Thriller hatte.
»French Kiss«, »Pinocchio«, »Soy Cow-Boy« … Die Neonschriftzüge der Clubs hüpften als Lichtreflexe in den Regenpfützen. An jeder Fassade gab es etwas Ungewöhnliches und Originelles zu entdecken. Hier wölbte sich ein leuchtendes Hufeisen über dem Eingang, dort strahlte ein Saturnring, eine dritte Tür ahmte die Einstiegsluke eines U-Boots nach. Und immer standen Frauen davor.
    Junge Mädchen vor allem, deren Verkleidung mehr oder minder dem Thema des Hauses entsprach, in dem sie arbeiteten: Fransenwesten, geschlitzte Uniformen oder ganz einfach StringTangas und dünne Tücher, die den Körper umflatterten. Alle tanzten zu ohrenbetäubenden Technorhythmen. Manchmal bildeten sie eine Kette mit dem Rücken zur Straße und wichen, die Beine gespreizt und den Po hochgereckt, dem Bombardement von Eiswürfeln aus, das von der Bar herüberkam. Dann wieder suchten sie einen Galan zu verlocken, indem sie sich eine Hand zwischen die Schenkel schoben. Wieder andere präsentierten mit

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