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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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in einen schmalen Riffkanal hinein. Er schlug um sich, schrammte bäuchlings über Korallen hinweg, stieß sich die Ellenbogen auf. Doch ein kleines Wunder geschah: Die Strömung trieb ihn aufs Ufer zu … Er zwang sich, still zu halten; machte sich leicht, und jetzt strichen die Kalkstöcke nur noch leicht seine Unterseite entlang.
    Endlich strandete er und rappelte sich auf. Im Licht des Mondes, der zwischen den Wolken hervorlugte, schimmerte der Strand weiß wie Kreide. Je weiter er sich von der Brandung entfernte, desto deutlicher nahm er den Gesang der Blätter wahr – bis ihr Rascheln fast betäubend wurde. Hexengelächter. Mark wandte sich zum Meer um – der Fischer war noch da. Er schien fuchsteufelswild. Mark aber vertraute darauf, dass er warten würde.
    Er ging auf den Bambuswald zu, der sich den Strand hinauf erstreckte. Nach wenigen Schritten wurde die dunkle Form, die er schon vom Boot aus erkannt zu haben meinte, deutlicher.
    Ein kleiner, an den Felsen geschmiegter Pfahlbau.
Ein schlichter, geschlossener Bungalow mit einer Terrasse vor der Tür. Etwa vier Meter breit und fünf Meter lang. Die Höhleeines Robinson Crusoe. Vielleicht auch nur ein Schuppen für eine Taucherausrüstung. Auf einmal packte Mark eine unerklärliche Furcht. Was, wenn er dort erwartet wurde? Wenn Reverdi ihn zu einem Stelldichein mit jemand anderem dirigiert hatte? In Sekundenschnelle schossen ihm die absurdesten Vermutungen durch den Kopf: der Vater vielleicht, der Anwalt … Er rief sich zur Ordnung; trotzdem wollte er die Hütte zuerst von außen umrunden.
    Er knipste die Taschenlampe an und zwängte sich in den schmalen Spalt zwischen Hüttenwand und Felsen. Natürlich war hier niemand. Er inspizierte die Beschaffenheit der Mauern. Ein einziger Blick bestätigte ihm, was er ohnehin wusste: Die Hütte war »bearbeitet« worden. Jede Ritze, jeder Zwischenraum war mit Rattanfasern und Silikon verstopft.
    Als er auf der anderen Seite wieder hervortrat, bemerkte er, dass die Nacht heller geworden war, und blickte auf. Die Wolken verzogen sich rasend schnell, und der Vollmond schien herab wie eine kalte Sonne. Der schimmernde, vom Regen gelöcherte Sand glich jetzt einer Perlmuttfläche. Mark löschte die Lampe; im natürlichen Licht der Nacht fühlte er sich wohler.
    Er betrat die Terrasse. Auch hier stellte er fest, dass alles sorgfältig abgedichtet war: die Türschwelle, die Fensterritzen, der Spalt zwischen den Wänden und dem Fußboden – alles war hermetisch versiegelt. Im ersten Moment vermutete er, die Leiche müsse dort drinnen sein. Aber das konnte ja nicht sein – Reverdi hatte seit mindestens sechs Monaten keinen Fuß mehr nach Thailand gesetzt: Niemals hätte er hier eine Leiche verwesen lassen, auch nicht in einem abgedichteten Raum.
    Mark stellte sich vor die Tür und traktierte sie mit Fußtritten. Obwohl ihn seine nassen Kleider behinderten, gab die Tür nach kurzer Zeit nach. Er riss sie vollständig aus den Angeln, damit das Mondlicht ins Innere eindringen konnte. Die Hütte war leer – oder so gut wie leer: Mark entdeckte eine Druckluftflasche, ein vom Salz weiß gebleichtes Atemgerät, Bleigewichte. Eine Stirnlampe. Nirgends ein Anzeichen von Kampf oder Gewalt. Keine Spur von Blut oder Kerzenwachs. Kein verdächtiger Gegenstand. Es war nur der Unterschlupf eines zwar zivilisationsfeindlichen, aber harmlosen Mannes.
    Was sollte er hier finden? »Wenn du die Kammer entdeckt hast, musst du in ihren Schatten eintauchen. Dort erwartet dich etwas. Eine Kirche.« Er folgte jetzt der Logik des Mörders, der überzeugt war, seine Opfer zu läutern, indem er sie schlachtete. Auf dass sie selbst zu heiligen Räumen wurden. Zu »Kirchen«.
    Er stampfte mit dem Fuß auf. Kein doppelter Boden. Die Pfahlkonstruktion, auf der die Hütte stand, brachte ihn auf eine andere Idee. Wahrscheinlich war die Lösung einfacher: Reverdi hatte die Leiche im Sand darunter vergraben.
    Mark trat wieder hinaus und kroch unter das Fundament. Auf allen vieren untersuchte er den Boden, das welke Laub, die umwucherten Pfosten, entdeckte aber nichts Auffälliges. Ohne zu zögern, ja ohne überhaupt nachzudenken, was er da tat, fing er mit bloßen Händen zu graben an.
    Sehr schnell fand er eine wirkungsvollere Grabmethode: Er legte beide Unterarme parallel nebeneinander in den Sand und führte sie wie eine Baggerschaufel zu sich her und an seinem Körper vorbei. Wenn der Wall zu hoch wurde, wechselte er die Stellung, setzte sich in das

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