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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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blätterte er darin, während er mit der Messerklinge über die Seiten strich.
»Du hast es gar nicht so schlecht hingekriegt, muss ich zugeben. Aber du hattest natürlich auch Informationen aus erster Hand. Trotzdem bleiben ein paar Punkte, die ich gern noch aufklären würde. Für Korrekturen am Text ist es freilich zu spät.« Er richtete die Messerspitze auf Mark. »Die Änderungen machen wir einfach in euren Köpfen. Bevor ihr geopfert werdet, müsst ihr vollkommen rein sein. Von allen Lügen geläutert.«
Mark warf einen Blick zu Khadidscha hinüber. Ihre Augen, schwarz und weiß, waren blutunterlaufen, und zwischen ihren schwarzen Locken blitzte es rötlich: In ihrem Kampf, sich von den Fesseln zu befreien, hatte sie sich einzelne Haarsträhnen mitsamt der Kopfhaut ausgerissen.
Auf die Hände gestützt, lehnte sich Reverdi zurück und ließ den Blick zwischen seinen Opfern hin und her wandern.
»Es hat alles mit meiner Mutter angefangen«, sagte er im Tonfall des Märchenonkels. »Aber nicht so, wie du dir das zusammengereimt hast.« Er lächelte vor sich hin. »Als ich noch eine Taucherlegende war, hat ein Journalist geschrieben, das Meer sei in mir. Und meinte damit, ich sei erfüllt und beherrscht, besessen vom ›Meer‹. Wie Recht er hatte, ahnte er nicht, denn er hatte sich vertan: Er hatte mer und mère verwechselt.«
Er legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die elliptischen Hohlräume über ihm.
»Ja, die ›Mutter‹ ist in mir, seit jeher.«
KAPITEL 84
    »Du, Mark, du kennst meine Geschichte. Glaubst sie jedenfalls zu kennen: das vaterlose Kind, das in einer Sozialwohnung allein bei seiner Mama aufwächst. Du hast dir da ziemlich viel zusammengesponnen. Die fehlende Vaterfigur, die das Kind, den künftigen Mörder, umtreibt – eine Art Gespenst, das den Sohn von der Mutter trennt. Ich darf dich zitieren?«Er schlug das Buch auf einer Seite auf, die er mit einem Eselsohr markiert hatte:
    »Wann immer es an der Tür läutete, erwachte in Claude die wilde Hoffnung, sein Vater käme zurück. Jeden Abend, wenn er schlafen ging, beugte sich eine schemenhafte schwarze Gestalt über sein Bett. Wann immer seine Mitschüler von ihren Eltern erzählten, überlief ihn ein Schaudern, und der Verlust klaffte schmerzhaft wieder auf wie eine schwärende Wunde, an der er insgeheim seiner Mutter die Schuld gab. Hatte sie nicht zugelassen, dass er ging?«Reverdi legte das Buch aus der Hand.
»Nicht schlecht, nicht schlecht … Aber meine Lage war einfacher. Und viel banaler. Unser Leben war unspektakulär.
    Sogar ziemlich ausgeglichen. Jedenfalls in dieser Hinsicht: Von meinem Vater war keine Rede. Wir waren zu zweit, Mutter und Sohn. Und im Unterschied zu deiner Romanfigur war meine Mutter durchaus keine religiöse Fanatikerin, die nur für die Nächstenliebe lebte, streng gegen sich und die Welt …«Er setzte sich wieder aufrecht hin. »Oh nein«, fuhr er fort. »Meine Mutter hatte, kurz gesagt, ein Problem: Sie war sexbesessen.«Er stellte sein Messer mit dem Griff auf seinen Bauch, wie einen Steuerknüppel, und fixierte Khadidscha, die den Blick abwandte.
    »Sie musste es ununterbrochen haben, verstehst du? Sie brauchte einen ordentlich harten Schwanz zwischen den Beinen, der sie aufspießte. Am besten bis zur Kehle hinauf.«Er verstummte und hing seinen Gedanken nach.
»Ja, ja, meine Mutter«, sagte er endlich. »Die ach so heilige, aufopferungsvolle Sozialarbeiterin war eine Nymphomanin.
    Hatte nix anderes im Hirn als das Vögeln. Und ihr Beruf, ihre vermeintliche Berufung, war für sie ein willkommener Anlass, um Kerle aufzureißen – Arbeitslose, Faulpelze: alles Stecher, die viel Zeit hatten …«Mark war sich seiner Sinne nicht mehr sicher, doch es schien ihm, als mischte sich in das Zischen des entweichenden Kohlendioxids ein anderes Geräusch, etwas Härteres, Schrilleres … Reverdi knirschte anscheinend mit den Zähnen. Wenn er von seiner Mutter sprach, krampften sich ihm vor Hass die Kiefer zusammen.
    »Die Gier nach einem Schwanz, das war es, was sie aus dem Haus trieb, während sie angeblich ihre Sozialfälle betreute …«Wieder wandte er sich an Khadidscha, die ihn mit entsetzt geweiteten Augen anstarrte. Aus den Wunden, die ihr die Heftklammern geschlagen hatten, sickerte das Blut und bildete ein haarsträubendes Lippenrot.
    »Fährst du auch so drauf ab?« Er blickte von ihr zu Mark. »Wie macht ihr’s denn, pfählst du sie und reißt sie entzwei? Habt ihr an mich gedacht, wenn ihr’s

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