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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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jedem Atemzug matt schimmernd höhlte und wölbte, wie zähflüssiger Teer in Bewegung.
Mark war wie vor den Kopf geschlagen. Reverdi war erschreckend real. Die grauen Schläfen, die Runzeln um die Augen, die unter der gebräunten Haut hervortretenden Adern … ja: Jacques Reverdi existierte, er war ein reales Wesen, kein der Einbildung entsprungenes Raubtier. Am Handgelenk trug er eine Multifunktionsuhr – ein absurdes Detail, das ihm beinahe etwas Komisches verlieh. Ein echter Taucher, der bereit war, sich fallen zu lassen. In welchen Abgrund?
»Wo ist Khadidscha?«, fragte Mark noch einmal.
Reverdi deutete hinter sich in den Raum. In seiner Hand blitzte es silbern. Ein Tauchermesser.
»Hier. Bei uns.«
Mark versuchte mit dem Blick der Richtung des Messers zu folgen. Unter äußerster Anspannung seines fixierten Nackens gelang es ihm, sie etwa drei Meter rechts von ihm zu entdecken. Auch sie war nackt, auch sie war an einen Stuhl aus Stahl gefesselt. Ihr Kopf war herabgesunken, das Gesicht unter der Flut ihrer dunklen Locken verborgen. Nicht tot, nur bewusstlos: Auf ihrer olivbraunen Haut sah Mark die wieder verschlossenen Einschnitte. Später, wenn der Sauerstoff aus der Atmosphäre verschwunden war, würde Reverdi sie ausbluten lassen.
»Keine Sorge, sie wacht bald auf«, sagte Reverdi leise.
»Allerdings habe ich dafür gesorgt, dass sie uns nicht mit Gekreisch auf die Nerven geht. Du weißt ja, wie die Frauen sind …«
Entsetzt sah Mark zwischen den schwarzen Haaren die spezielle Gemeinheit, die der Mörder ihr angetan hatte: Er hatte ihr mit einem Tacker die Lippen verschlossen – tief waren die Heftklammern ins Fleisch eingedrungen, ihre Schönheit für immer entstellt. Aber es gab ja kein »für immer« mehr: Die kleinen Freuden des Folterknechts waren bloß ein letzter Schnörkel vor dem unausweichlichen Ende.
»Sie kann doch nichts dafür«, stöhnte Mark. »Ich hab dir nur ihr Foto geschickt, ich …«
»Schnauze!«
Reverdi trat zur Seite und blieb reglos in der Mitte zwischen ihnen stehen, in gleichem Abstand zu seinen Opfern. Schwarz, kerzengerade, riesig, bildete er den dritten Punkt eines perfekten Dreiecks.
»Wer was getan hat, ist völlig egal«, fuhr er in unangenehm sanftem Ton fort. »Im Grunde kommt es mir sehr gelegen, dass ihr ein Paar seid. Zu dritt stellen wir das Urdreieck nach: Vater, Mutter, Kind. Das Dreieck der Urlüge. Wir werden den allerersten Verrat nachspielen. Und die letzte Katharsis erleben.«
»Ich flehe dich an … Sie hatte keine Ahnung!«
Reverdi legte sich das Messer an die Lippen: »Still. Horch: Hörst du das Geräusch? Wir haben nicht mehr viel Zeit. In weniger als einer halben Stunde wird der Sauerstoffgehalt in der Luft unter die kritische Schwelle von zehn Prozent gefallen sein.«
Khadidscha hob den Kopf. Ihre Lider bewegten sich träge, aber es war nur der weiße Augapfel zu sehen. Sie stieß einen stummen Schrei aus. Ihr Stöhnen blähte die versiegelten Lippen und trieb ihr die Heftklammern noch tiefer ins Fleisch.
»Da wacht ja auch schon unsere Prinzessin auf. Ausgezeichnet. Wir sind gut in der Zeit.«
Reverdi griff hinter sich nach einer Fernbedienung.
»Keine Sorge«, bemerkte er, als hätte er Marks Gedanken gelesen. »Ich kenne mich aus mit diesen Maschinen. Sie funktionieren nicht anders als die Kompressoren, mit denen die Taucher arbeiten. Momentan sind wir bei zwanzig Prozent. Ihr werdet bald zu schwitzen anfangen.«
Er blickte auf. In seinen Augen war ein eigenartiges Funkeln, befriedigt und euphorisch zugleich. Das blaue Flämmchen vor ihm auf dem Boden flackerte unruhig.
»Zuerst bin ich euch ein paar praktische Erklärungen schuldig. Wie sind wir hierher gekommen? Welcher Zaubertrick hat uns in diesen runden Tank befördert?«
Er trat ein paar Schritte vor. Im Profil war er dürr wie ein Tau. Mark dachte an die schwarzen Glasfaserkabel, die halb vergraben im Sand über dem Meeresgrund verlaufen und Kontinente verbinden. Reverdi war barfuß – der Freitaucher, bereit zum Abstieg … »Unser Versteckspiel in Paris kann ich auslassen«, fuhr er fort. »Es war ein Kinderspiel, euch beide ausfindig zu machen. Ein Blick in die Schaufenster genügte … Dann diese einigermaßen lächerliche Verfolgungsfahrt über Land. Ich habe euch beobachtet, wie ihr euch in dieser Scheune verkrochen habt. Eine wirklich jämmerliche Beute …«
Mark versuchte etwas zu sagen, brachte aber nur ein Husten heraus. Der Sauerstoffmangel machte sich bemerkbar. Sein Körper war

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