Das schwarze Blut
getrieben habt? Habt ihran den kleinen Jacques gedacht, der seine ›Mama‹ nie verstanden hat?«Plötzlich senkte er die Stimme, »Ihre melancholische Schönheit und die züchtigen Krägelchen waren die reinste Irreführung. Ihre Möse war ein Ausgussloch in einem Spülbecken. Eine Kloake. Die aller Welt weit offen stand …«Er sprang auf, wie um seine Fassung wiederzufinden, und begann auf und ab zu gehen – dass der Sauerstoffgehalt stetig sank, schien ihm nichts anzuhaben.
»Aber warum auch nicht?«, sagte er nach einer Weile achselzuckend. »Kleine Jungen geht so was ja nichts an. Außerdem war ich längst im Bett und schlief, wenn die Männer zu ihr kamen, jedenfalls meistens. Aber sie war ja pervers – irgendwie musste sie mich immer mit einbeziehen, sonst war das Vergnügen nur halb so groß. Einmal, als ich sie fragte, wer zu Besuch kam, flüsterte sie mir vertraulich zu: ›Dein Papa.‹ Und fing schallend zu lachen an. Ich muss sechs oder sieben gewesen sein. Dieses plötzliche Auftauchen eines Vaters, der bis dahin immer totgeschwiegen worden war, brachte mich ziemlich durcheinander. Von da an hatte ich natürlich nur noch eines im Sinn, ich wollte ihn sehen.
Jeden Abend lag ich in meinem Zimmer auf der Lauer und versuchte, irgendwas mitzubekommen, seine Stimme zu hören, seinen Geruch wahrzunehmen. Aber vor lauter Angst traute ich mich nicht, die Tür zu öffnen. Ich hörte nur gedämpftes Stöhnen und Geschrei und machte mir meinen Reim darauf: Mein Vater kam des Nachts, um meine Mutter zu schlagen. Ich stellte mir eine Art Dämon mit Hakenhänden vor, die sie verletzten, aufrissen, ihr die Haut abzogen. Ich fing an ihn zu hassen, abgrundtief.
Aber meine Faszination blieb. Ich dachte nur noch an ihn, zermarterte mir das Hirn, wie er wohl sein mochte. Nachts drückte ich das Gesicht an den Türspalt, um vielleicht einen Blick auf ihn zu werfen, und morgens suchte ich im Wohnzimmer, im Zimmer meiner Mutter, wo es intensiv nach Sex roch, nach Spuren – unter dem Bett, in den zerwühlten Laken, unter dem Teppich. Manchmal fand ich Gegenstände, die ihm gehörten – ein Feuerzeug, eine Schachtel Zigaretten, eine Wettzeitschrift … Ich bewahrte alles in einer Kiste auf. Meiner Schatzkiste.
Eines Tages nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und fragte sie, warum Papa ihr wehtat. Ob er denn böse sei. Erst hat sie nichts kapiert, dann fing sie wieder zu lachen an mit ihrer vulgären Stimme. Sie spreizte sich wie ein Pfau. Ich seh noch ihr Gesicht vor mir, lang und dünn, und dieser viel zu große Mund. Mit einem selbstgefälligen Lächeln sagte sie, ja, er sei sehr böse. Deshalb dürfte ich ihn auch nicht sehen … Von da an musste ich abends aufbleiben, bis er kam, und wenn es dann an der Tür läutete, flüsterte sie mir mit gespielter Panik zu: ›Versteck dich, schnell, Papa kommt!‹ Ich flüchtete entsetzt in mein Zimmer, verschanzte mich hinter der Tür und lauschte auf jedes Geräusch, jedes Alarmsignal, und stellte mir dabei die schlimmsten Folterszenen vor. Und fürchtete, er könnte mich erwischen …Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und bohrte meine Tür an. Durch ein ausgefranstes Loch bekam ich ihn endlich zu Gesicht. Ein großer, stämmiger Kerl, sehr dunkel, sehr haarig. Er gefiel mir auf Anhieb. Wie ein Bär sah er aus.
Aber in der Nacht sah ich zum ersten Mal, was ich nicht hätte sehen sollen, die verschlungenen Gliedmaßen, die nackte Haut, Fleisch von dunklem Violett. Meine Mutter mit irgendwas im Mund. Ein bräunlicher Arsch. Eine Möse, die aussah wie eine klaffende Wunde. Und dazu immer dieses tierische Gebrüll und Gestöhne, dieses erstickte Röcheln … Ich hätte nicht beschreiben können, was ich da sah, aber für mich war es eine Vergewaltigung – die Vergewaltigung der menschlichen Rasse, all dessen, was ich über die Erwachsenen zu wissen glaubte.
Es machte mich krank. Ich konnte es nicht mehr ertragen. Trotzdem stand ich jeden Abend hinter meiner Tür auf dem Posten. Ich wollte meinen Papa wiedersehen. Jetzt verlor ich komplett die Orientierung. Denn er sah jedes Mal anders aus. Einmal war er klein und schmächtig und weiß, dann wieder war er fett, kahl und kupferbraun, oder es war ein schwarzer Riese mit trägen, lasziven Gesten … Ich wurde allmählich verrückt. Ich sagte mir, wenn mein Papa so viele verschiedene Gestalten hat, bestehe vielleicht auch ich aus ›mehreren‹. Ich hatte das Gefühl, meine Konturen zu verlieren. Wenn ich morgens vor dem
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