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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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schweißbedeckt, in seinem Kopf breitete sich ein dumpfer Druck aus, der sich in sämtliche Gehirnwindungen ausdehnte. Nach mühsamem Räuspern stieß er endlich hervor:
»Warum hast du uns nicht schon dort umgebracht?«
»Ihr wart noch nicht reif für die Opferung. Erst musste euch die Angst mürbe machen. Euch eure Sicherheiten, eure Orientierung austreiben. Als ich euch im Morgengrauen zurück zum Parkplatz gefolgt bin, fand ich euch schon recht gut abgehangen …«
Er warf einen Blick auf seine Uhr, die offensichtlich auch die Zusammensetzung der Atmosphäre analysierte.
»Danach wurde es schwieriger. Ich wusste, dass ihr früher oder später am Ende eurer Kraft wärt und zur Polizei gehen würdet. Auf welches Revier? Natürlich in das an der Avenue du Maine. Eines der größten. Eines der bekanntesten. Und vor allem das einzige auf eurem Rückweg. Ich habe euch hineingehen sehen. Ich habe ein paar Minuten gewartet und bin euch dann gefolgt.
Drinnen musste ich nichts weiter tun, als mich professionell und konzentriert zu geben und mich unter die Menge zu mischen. Ich konnte ohne weiteres als Polizist durchgehen oder als Notarzt, der zu einem Verhafteten gerufen wird. Denk dran, was ich dir mal geschrieben habe, ›Elisabeth‹: ›Je weniger du dich versteckst, desto weniger fällst du auf.‹ Ich habe euch gleich auf eurer Bank entdeckt. Dann habe ich in gebührender Entfernung Stellung bezogen und auf eine günstige Gelegenheit gewartet. Ich hatte noch keinen genauen Plan, aber mehrere Möglichkeiten parat. Als Khadidscha aufstand und zur Toilette ging, war meine Zeit gekommen. Eine kleine Injektion, und ich brauchte nur noch den umsichtigen Arzt zu spielen. Ich habe sie bewusstlos durch den Hinterausgang zum Parkplatz getragen, wo ich mein Auto abgestellt hatte – mit dem Schild ›Arzt im Einsatz‹ hinter der Windschutzscheibe. Keiner hat mich aufgehalten.
Danach hab ich mich auf der Toilette versteckt und auf dich gewartet, Mark. Als du nicht gekommen bist, habe ich nach dir gesehen und hätte fast lauthals gelacht, als ich dich schlafend auf der Bank fand. Ich bin in mein Versteck zurückgekehrt, wo ich nicht lang warten musste. Nachdem ich dir die Injektion verpasst hatte, hab ich mir deinen Arm um die Schultern gelegt und dich in aller Öffentlichkeit zum Auto geschleppt. Und da seid ihr.«
Mark fiel es zunehmend schwer, das krampfhafte Zittern, das ihn in Wellen überkam, im Zaum zu halten. Unter jedem Anfall spannte sich die ans Metall geklebte Haut schmerzhaft an. Er musste immer schneller atmen, um noch genügend Sauerstoff zu bekommen. Außerdem spürte er tief innen den ebenso scharfen wie unwirklichen Schmerz seiner Verletzungen und fühlte, wie direkt unter der Haut das Blut an den aufgeritzten Adern pochte, bereit hervorzusprudeln, sobald die Flamme die Wunden wieder öffnete.
»Aber die eigentliche Frage«, fuhr Reverdi fort, »ist doch: Wie sind wir hierher gekommen? Und wo sind wir überhaupt?
Ich kann euch nur so viel sagen, dass wir uns in einer Industrieanlage befinden, in der hochriskante Stoffe verarbeitet werden. Irgendwo in der Pariser Vorstadt, in der Nähe eines Flusses. Der Fluss ist wichtig. Das weißt du, Mark, und hast es vielleicht auch Khadidscha gesagt: Wo Wasser ist, bin ich unbesiegbar.
Hier einzudringen war ein bisschen komplizierter als in ein Polizeirevier, das darfst du mir glauben. Aber nicht unmöglich, wie du siehst. Mit ein paar gefälschten Papieren und dem einschlägigen Jargon hatte ich die Wächter schnell überzeugt, dass ein Probealarm stattfand. Kaum war ich drinnen, kriegte jeder von ihnen seine Spritze. In ein paar Stunden werden sie mit pelziger Zunge und dickem Kopf wieder aufwachen. Genau wie ihr jetzt. Aber für euch spielt das keine Rolle mehr.«
Reverdi drückte noch einmal auf seine Fernbedienung. Das Zischen wurde lauter.
»Fünfzehn Prozent. Bald wird euch schlecht werden …«
In Marks Brust wuchs, wie ein saugendes Vakuum, ein dringendes Bedürfnis nach Luft. Sein Bauch hingegen wurde immer schwerer, versackte in einem Gefühl von Übelkeit.
Der Mörder setzte sich mit gekreuzten Beinen auf den Boden und rückte das Honigfläschchen, den Pinsel, die Öllampe vor sich zurecht. Er seufzte ergeben, als müsste er jetzt zum unangenehmen Teil übergehen.
»Ich hab dein Buch gelesen, Mark. Mein Buch, sollte ich sagen.«
Aus einer der Wabenzellen hinter sich zog er eine Aktentasche hervor und hielt auf einmal Schwarzes Blut in den Händen. Zerstreut

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