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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Bild von Elisabeth Bremen zu schicken, das Foto aus dem Pass, den Mark aufbewahrt hatte, kam nicht infrage: Er wollte die Schwedin, die inzwischen hoffentlich nach Hause zurückgekehrt war, nicht noch tiefer in die Sache hineinziehen. Außerdem würde ihr Gesicht, das viereckig war wie ein Pflasterstein, vermutlich nicht Reverdis Geschmack treffen.
Nein, er musste anderswo suchen, und er wusste auch schon, wo.
Zumal es nur einen Katzensprung entfernt war.
KAPITEL 25
    »Unschärfe ist die einzige Methode, um Schönheit einzufangen, das sag ich dir.«Der Koloss nahm die Patrone heraus und biss hinein, um sie zu markieren. Er legte einen neuen Film in die Kamera ein.
»Schönheit hat überhaupt nichts mit einem superscharfen, präzisen Bild zu tun. Ich rede nicht von der äußeren Erscheinung, sondern vom Geist. Dem › spirit ‹ , verstehst du? Dreh dich rum. Nein. Dreiviertel. Genau.«
Ein Blitz flammte auf, ein Knacken, gefolgt von einem langen Pfeifton. Khadidscha überlegte, ob sie den Riesen darauf aufmerksam machen sollte, dass sie an einer Dissertation in Philosophie schrieb und seine Gemeinplätze über Unschärfe, Geist und Schönheit sich in einer Stilblütensammlung zum Thema Ästhetik recht gut gemacht hätten. Aber sie verzichtete darauf – schließlich war alle Welt sich einig, dass Vincent Timpani ein genialer Fotograf sei. In der kleinen Welt der Mode war nur von ihm und seinen unscharfen Porträts die Rede, die alle Magazine und Modemacher entzückten. Wie ein Echo fuhr er fort:
»Deswegen gehen meine Bilder so gut. Selbst die halbdebilen Agenten und die Zicken von Redakteurinnen merken den Unterschied. Das Wesen der Person erwischst du nur bei minimaler Tiefenschärfe. Die hält das Immaterielle fest. Dreh dich noch mal herum. Sehr gut. Wenn ich die Hand hebe, machst du einen Schritt nach vorn und gehst dann wieder in die Ausgangsposition …«
Unter anderen Umständen hätte sie das alles lächerlich gefunden. Aber in der grotesken Welt, in der sie sich bewegte, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich anzupassen. Und diese Fotosession hatte sie unbedingt gewollt. Sie hatte hart gearbeitet, gespart – und sogar auf die Führerscheinprüfung verzichtet, um diese neuen Abzüge bezahlen zu können. Die letzten Stufen zum Ruhm.
»Jetzt. Sieh mich an. Wenn ich ›Los‹ sage, bewegst du dich nach rechts … Los … Okay …« Wieder knackte der Blitz. »In der buddhistischen Philosophie …«
Khadidscha hörte nicht mehr hin. Eigentlich gefiel ihr dieser Dickhäuter in seinem zerknitterten Anzug. Einer wie er war in der Welt der Werbung und der Mode wie ein aus dem Zirkus entflohener Bär, der es geschafft hatte, seinen Beißkorb loszuwerden. Er war riesig, schwer, ungehobelt, und er passte überhaupt nicht hierher. Zugleich aber war er ungezwungen, fröhlich und schien früher ein ganz anderes Leben geführt zu haben. Auch war er seit Monaten der Erste, der sie nicht mit betroffener Miene nach ihrer Meinung zum Irakkrieg gefragt hatte:
»Und du als Muslimin, was sagst du dazu?«
»Jetzt setzt du dich im Schneidersitz hin. Genau … Super. Achtung, Hals gerade. Auf mein Zeichen beugst du dich vor und … Shit.«
Der Blitz hatte nicht ausgelöst.
»Was ist denn mit diesen Balcar-Teilen los?«, schrie Vincent hinter die Schirmreflektoren.
Statt einer Antwort nur tiefes Schweigen. Unwillkürlich schlang Khadidscha die Arme um die Schultern, als wäre sie nackt. Dabei trug sie ein schmales, eng anliegendes Kleid mit Schachbrettmuster in Pastelltönen, die sie an die Bonbons aus ihrer frühen Kindheit erinnerten.
Der Fotograf brüllte jetzt, während er wild auf den Fernauslöser drückte, den er vom Kameragehäuse gerissen hatte:
»Was haben dieses Scheißblitze denn schon wieder! Arnaud? ARNAUD!«
Eine Gestalt setzte sich in Bewegung und stürzte auf die am Fuß der Leuchtenstative aufgebauten Generatoren zu.
»Okay, Khadidscha«, seufzte Vincent, »wir machen Pause. Unter diesen Umständen arbeite ich nicht.«
»Ich auch nicht.«
Das war ein Scherz, aber niemand nahm ihn zur Kenntnis. Khadidscha ließ sich in den Schatten gleiten wie in ein wohltuendes Bad. Ihre Augen freuten sich über die Dunkelheit. Sie liebte dieses Studio: ein großes Viereck mit wassergrünen Betonwänden, dessen Einrichtung nur aus Schirmreflektoren und verschiedenfarbigen Hintergründen bestand.
Sie trat an den Leuchttisch, auf dem ihre ersten Polaroidbilder auslagen. Um selbstsicher zu wirken, tat sie, als inspizierte sie die

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