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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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grünen Studiowände, der Duft ihres Haarlacks, die Schwere des Silberschmucks auf ihrer Haut … Jede Empfindung kristallisierte sich, gewann an Klarheit, ließ den Augenblick unsterblich werden. Sie kannte diese Symptome, dieses heimliche Glühen ihres ganzen Wesens. Es war die Erregung des Verliebtseins. Vincent rettete sie abermals:
»Weiter geht’s, noch ist nicht Schluss für heute. Gute Fotos machen sich nicht von allein.«
Er klatschte in die Hände: »An die Arbeit, Leute! Arnaud: Geht der Blitz wieder?«
Khadidscha blickte Vincent nach, der zu seiner Kamera stürmte, und wurde sich eines erstaunlichen Phänomens bewusst: Trotz seiner Schwere meinte man hinter ihm, kaum setzte er sich in Bewegung, eine Art Kometenschweif entstehen zu sehen, eine Leuchtspur fieberhafter Aktivität.
»Gehen Sie lieber«, sagte Mark leise zu ihr. »Er ist keiner von der geduldigen Sorte.«
Khadidscha lächelte und hätte gern etwas Geistreiches von sich gegeben, doch in ihrem Kopf herrschte gähnende Leere. Mist. Sie kehrte vor die Kamera zurück. Der Visagist wartete mit gezückten Pinseln neben den Scheinwerfern. Unwillkürlich warf sie einen Blick zurück ins Halbdunkel und hätte geschworen, dass der Journalist sie beobachtete, allerdings mit besorgter, beinahe grimmiger Miene. Ein Süchtiger, dachte sie wieder, einer mit einer Zwangsvorstellung, die keiner teilen kann. Sie spürte eine Wärme in sich aufsteigen … Der Visagist ließ sie gehen. Sie tauchte in die Arena ein und hatte das köstliche Gefühl, eine Prinzessin zu sein, im Zentrum gebannter Aufmerksamkeit.
»Dieselbe Position wie vorhin«, befahl Vincent, »im Schneidersitz. Ganz schlicht. Du lässt deine Zen-Seite heraus.«
Khadidscha lächelte über diesen neuerlichen Unsinn und gehorchte. Sie hatte das Gefühl, zu schweben, über sich hinauszuwachsen dank dieser neuen Empfindung, die sie erfüllte. Ein flüchtiges Wasser, leichter als Luft.
Im selben Moment jedoch verdüsterte sich alles, trotz gleißender Scheinwerfer, trotz ihrer Fröhlichkeit. Sie hatte an den Fluch gedacht, der auf ihr lastete. Der ihr die Liebe unmöglich machte.
    Indianerfeuer hatten sie die Quälerei genannt, die sie sich als kleine Mädchen gegenseitig verpassten, wenn die eine mit beiden Händen das Handgelenk der anderen packte und die Haut in entgegengesetzte Richtungen verdrehte, sodass es brannte und stach wie mit tausend Nadeln.
    Indianerfeuer.
Die Quälerei trug ihren Namen zu Recht. Als Kind hatte sich Khadidscha vorgestellt, wie die Indianer zwischen denHandflächen einen Holzstab auf einem Stein quirlten, bis aus dem rundherum aufgehäuften trockenen Laub ein dünner Rauchfaden aufstieg und schließlich hier und dort ein Flämmchen emporzüngelte …Genau das war es, was sie spürte, wenn sie mit einem Mann schlief: brennenden Schmerz, wenn ihr Fleisch, das immer trocken blieb, unter der Reibung von Haut an Haut nahe daran war, in Flammen aufzugehen. Sie war bei mehreren Gynäkologen gewesen, die alle dieselbe Diagnose stellten: mangelnde Vaginalsekretion, die keine physiologische Ursache hatte. »Es ist alles im Kopf«, bekam sie wieder und wieder zu hören.
    Tatsächlich? Die Ärzte sprachen von Frigidität, von Blockade, rieten ihr zu einer Psychotherapie, verschrieben ihr auch allerlei Medikamente, Salben »für den Notfall«, und einer empfahl ihr einen Spezialisten für solche Fälle, einen Sexualtherapeuten.
    Khadidscha nickte und verschwieg, dass sie schon fünf Jahre Analyse hinter sich hatte. Sie hatte ihr immerhin geholfen, einige ihrer Traumata zu »überwinden«, vor allem ihre Kindheit unter der Diktatur des Heroins. Doch gegen das Feuer war die jahrelange Innenschau machtlos gewesen. Khadidscha brannte noch immer. War für immer ausgedörrt. Eine Wüste, in der nur Tiergerippe herumlagen, gebleicht von der Sonne.
    Es änderte nichts daran, dass sie sich häufig verliebte. Oft genügte ein Blick, ein Lächeln, auf der Straße, im Hörsaal, sogar in der Cafeteria in Cachan. Wenn sie verliebt war, fühlte sie sich, als hätte sie die Grippe, alles tat ihr weh, die Gliedmaßen, die Haut. Liebe war für sie eine fiebrige Infektion; aber sie war auch etwas Euphorisierendes, das unter ihren Brüsten aufstieg und ihren Körper mit Sternenglanz umhüllte. Eine rote Koralle: So stellte sie sich das Verlangen vor, das in ihr aufbrach. Sie wiederum kam ungemein gut an, natürlich: Die ihr entgegengebrachte Anbetung war einhellig. Sie war eine Königin von Saba, der alle

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