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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Männer zu Füßen lagen. Anfangs … Sehr bald merkten sie, dass mit ihr etwas nicht stimmte: Mit dem unbeirrbaren männlichen Instinkt, der auf die Vermeidung von Komplikationen ausgerichtet ist, spürten sie, dass Khadidscha anders war – sonderbar, düster, allzu verschroben … »He, Khadidscha, was ist denn jetzt? Zum letzten Mal: Würdest du gütigerweise aufstehen – wär das wohl möglich?«Sie fuhr zusammen und gehorchte. Zwischen zwei Blitzlichtern versuchte sie den Rothaarigen zu entdecken. War er immer noch da? Beobachtete er sie? Sie fühlte sich zu diesem rätselhaften Journalisten stark hingezogen, und doch warnten sie sämtliche Sensoren vor der Gefahr: vor diesem Besessenen, der in seinen Zwängen gefangen war, ganz auf sich selbst fixiert.
    »Jetzt dreh dich um. Stopp! Genau: im Dreiviertelprofil. Sehr gut.«
Sie starrte angestrengt und vergeblich in den Schatten hinter den Schirmreflektoren. Da war niemand.
»Khadidscha? Verdammt. Tu bloß dieses dämliche Lächeln aus dem Gesicht, ja?«
Sie hatte ihn endlich erspäht, wieder neben dem Leuchttisch. Und im selben Moment, als sie ihn entdeckte, war ein Wunder geschehen, eine Geste der Liebe, wie sie nur in den ägyptischen Liebesschnulzen vorkam, für die sie so schwärmte.
Der Journalist, der sich unbeobachtet glaubte, hatte eines ihrer Polaroidfotos an sich genommen und in der Tasche verschwinden lassen.
KAPITEL 26
    Als Jacques Reverdi erfuhr, dass im Gefängnis eine groß angelegte Reihenuntersuchung stattfinden sollte, um eventuelle SARS-Infektionen ausfindig zu machen, erkannte er darin den glücklichen Zufall, auf den er gewartet hatte. Allerdings wusste er noch nicht, wie er die Chance konkret nutzen sollte. Seit vier Tagen grübelte er und war noch zu keinem brauchbaren Ergebnis gekommen.
    Jetzt, am 23. April um elf Uhr vormittags, stand er in der endlosen Warteschlange und hatte noch immer keine zündende Idee.
    Im Moment war es ihm aber egal.
Denn er stand unter Schock, seit zwei Tagen schon. Unter dem Schock des Gesichts.
Er hatte nie verstanden, weshalb es so verpönt ist, eine Fraunach ihrem Aussehen zu beurteilen. Als müsste sie in erster Linie ein Genie sein, eine Heilige, eine perfekte Mutter, berstend vor moralischen Qualitäten. Als gäbe es keine größere Beleidigung, als sie wegen ihres Gesichts, ihres Körpers, ihrer Ausstrahlung zu schätzen. Auch die Frauen selbst wollten vor allem wegen ihrer »inneren Werte« geliebt werden.
    Völliger Blödsinn.
    Ein Gottesgeschenk – das einzige – war doch die körperliche Schönheit. Allem voran das Gesicht: Darin konzentrierte sich das Wunder der Ebenmäßigkeit, der Ausgewogenheit, dessen Anblick einem die Sprache verschlug, jedes Wort überflüssig machte. Man konnte nur bewundern. Alles andere war Schlacke, Verunreinigung, Schmutz. Was man »Austausch«, »Gemeinsamkeit«, »gegenseitiges Kennenlernen« zu nennen pflegt, war nichts als Lüge. Aus einem einfachen Grund: Sobald eine Frau den Mund aufmacht, lügt sie. Sie kann sich nicht anders äußern. Das ist ihre Natur, seit Urzeiten, wie eine unförmige, unzugängliche, heimtückische Gesteinsschicht, in die sie eingebettet ist, aus der sie nicht herauskann.
    Er hatte seine Partnerinnen stets nach dem Aussehen gewählt. Man begegnet einem Gesicht auf der Straße: so einfach und zugleich so schwierig. Alles Spätere war nur Strategie, Kalkül, Manipulation. Sobald er seine Erwählte ansprach, begann er selbst zu lügen, denn damit begab er sich in die Niederungen menschlicher Beziehungen. Während die Frauen meinten, sie erkundeten ihn und lernten ihn kennen, entfernten sie sich in Wahrheit von ihm, gerieten immer tiefer hinein in die Falle, die er ihnen stellte.
    Das Chanson von Georges Brassens kam ihm wieder in den Sinn:
    Je veux dédier ce poème A toutes les femmes qu’on aime Pendant quelques instants secrets …»Les passantes«. Die Verse waren ihm nie mehr aus dem Sinn gegangen, seitdem er sie zum ersten Mal gehört hatte: »Dieses Gedicht sei allen Frauen gewidmet, die wir lieben, ein paar verstohlene Momente lang …« Sie waren die Quintessenz seiner lebenslangen Suche: dieses ewigen inneren Dramas, ein schönes Gesicht in einem fahrenden Zug, in einer Menschenmenge, auf der Straße vorübergehen zu lassen, obwohl ein unwiderstehlicher Drang einen zu ihm hinzieht. Es zählt allein das erste Hingerissensein. Die Urzündung.
    Das war es, was ihm einen derartigen Schock versetzt hatte: Während er nahe daran war,

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