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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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es nicht mehr mit Sauerstoff angereichert und deshalb ziemlich dunkel. Außerdem trüb, weil es auch Partikel der Schleimhaut enthält; und es können Gerinnsel darunter sein.«
Während Mark eifrig mitschrieb, versuchte er sich dieses Blut vorzustellen, das er nie gesehen hatte.
»Wenn es solche Partikel enthält, ist es wohl nicht sehr flüssig, oder?«
»Nein. Es kann sogar ziemlich zähflüssig werden, manchmal geradezu sämig.«
Über seinen Block gebeugt, notierte Mark jedes Adjektiv.
Die alte Dame hatte kein Licht angemacht, und im Raum wurde es zusehends düster.
»Gut. Kommen wir jetzt zum, wie soll ich sagen, zum Jungfrauenblut …«
Die Gynäkologin warf einen Blick auf die Uhr – dieses Gespräch musste ihr völlig absurd vorkommen.
»Würden Sie mir auch dieses Phänomen erklären? Ich fürchte allerdings«, sagte Mark mit einem verlegenen Lachen, »Sie müssen auch hier bei null anfangen.«
»Das ist noch viel einfacher. Das weibliche Geschlechtsorgan hat am Eingang der Scheide eine Schleimhautfalte, das so genannte Hymen, das beim ersten Geschlechtsverkehr zerreißt.«
»Und das blutet dann?«
»Ja. Aber Vorsicht: In der Regel ist das Jungfernhäutchen schon vorher mehr oder minder perforiert. Da genügen mechanische Einwirkungen, etwa bei der Körperhygiene, oder erste sexuelle Erfahrungen des Mädchens ohne Penetration.«
Diese letzte Information ließ Mark aufhorchen. Vielleicht ließ sich daraus eine intime Erfahrung in Elisabeths Jugend basteln … »Und was für eine Farbe hat es?«, fragte er.
Die Ärztin antwortete nicht. In der Dunkelheit waren nur noch ihre weißen Haare zu sehen, die mit ihrem dunklen Teint ein interessantes Chiaroscuro bildeten. Sie schien tief in Gedanken. Marks ahnungslose Fragen zwangen sie, zu den Grundlagen zurückzukehren.
»Auch dabei«, sagte schließlich, »handelt es sich um sehr braunes Blut. Es enthält Partikel des Jungfernhäutchens. Und natürlich auch Scheidensekrete. Im Prinzip findet das Ganze in einem lustvollen Kontext statt.«
»Im Prinzip?«
Mark war dankbar für jede Besonderheit, für jede persönliche Komponente.
»Lust spielt dabei oft keine besondere Rolle«, sagte die Gynäkologin. »Bedenken Sie, dass der Geschlechtsverkehr etwas völlig Neues ist, ein Schock vielleicht, dass dabei das Hymen zerreißt – das alles ist, ob man will oder nicht, ziemlich brutal. Das Blut stammt von einer Verletzung, einer inneren Verletzung. Es bezeichnet das Ende einer Ära …«
Ihre Stimme wurde träumerisch, und Mark erfasste nach und nach die besondere Atmosphäre in ihrem Sprechzimmer. Die Wände, die Möbel waren dunkel geworden wie die Mauern einer Grotte, und die Worte der Ärztin klangen magisch, wie aus uralter Zeit – er hatte plötzlich das Gefühl, einem Orakel zu lauschen. Auch die Ärztin schien sich der Stimmung bewusst zu werden und brach den Bann, indem sie sich räusperte und laut sagte:
»Reicht Ihnen das jetzt? Ich habe noch weitere Termine.«
Das stimmte nicht. Sie wollte sich nur nicht dem Zauber der Situation überlassen.
»Entschuldigen Sie«, sagte er rasch, »aber ich wüsste gern noch was über eine dritte Art von Blut, nämlich bei Verletzungen, sagen wir, aufgrund von Unfällen … Könnten Sie mir dazu noch was sagen?«
Seufzend schaltete sie die Schreibtischlampe ein. In dem goldenen Licht des Lampenschirms, eines pergamentähnlichen, rot geäderten Gewebes, wirkte ihr Gesicht noch älter, als es war – faltig, ledern, wie exhumiert aus sandigem Grund.
»Nein, dazu gibt es nichts zu sagen«, erwiderte sie. »Das ist ganz gewöhnliches Blut.«
»Im Aussehen kein Unterschied zum Blut von Männern?«
»Nein. Die hormonelle Zusammensetzung spielt hier keine Rolle. Ich kann mich nur wiederholen: Wenn eine Arterie verletzt wird, ist das Blut hellrot, wird eine Vene verletzt, ist es ziemlich dunkel. Das ist alles.«
»Hätten Sie vielleicht Fotos?«
»Wovon?«
»Von den verschiedenen Sorten von Blut, über die wir gesprochen haben.«
»Wozu sollte ich die brauchen? Das Einzige, was ich Ihnen bieten kann, sind medizinische Abbildungen, Mikroskopaufnahmen.«
»Kann man da die Farbe erkennen?«
»Nein, tut mir leid, da müssen Sie schon Ihre Fantasie spielen lassen.« Sie legte die Hände auf den Schreibtisch. »Und jetzt …«
Mark dachte an Reverdis Sätze: »… finde die richtigen Worte, um mir hier, auf dem Papier, die Farbe dieser intimen Flüssigkeit vor Augen zu führen …«
»Warten Sie, nur noch einen Moment«, bat er. »Wenn

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