Das schwarze Blut
und vielen Händen abgegriffen und dunkel geworden waren. Die schwangeren Frauen wussten diese Oase inmitten des 6. Arrondissements sicher zu schätzen.
»Männer sind hier eher die Ausnahme«, fügte die Ärztin hinzu, weil Mark noch immer nichts sagte.
Mark seufzte und tischte die Lüge auf, die er vorbereitet hatte:
»Ich bin Schriftsteller. In dem Roman, an dem ich jetzt arbeite, ist die Hauptperson eine Frau. Aber ich verstehe ja nichts davon. Ich meine: von dem, was die Intimität einer Frau ausmacht.«
»Was meinen Sie mit ›Intimität‹?«
»Nun … Um sie überzeugend darstellen zu können, muss ich mich ja in sie hineinversetzen. Ich muss wissen, wie es sich anfühlt, eine Frau zu sein … zu bluten. Das Regelblut. Die Defloration. Verletzungen … was weiß ich.«
»Und wieso interessiert Sie gerade die blutige Seite?«
Sie musterte ihn mit ihren dunklen Augen, die den grauen Glanz schwarzer Perlen hatten. Mark rückte verlegen sein Jackett zurecht.
»Nennen wir es ›dichterische Freiheit‹. Blut ist ein starkes Symbol, finde ich.«
Die alte Ärztin schien nicht recht überzeugt. Das Gespräch ließ sich schwieriger an als erwartet. Nach einem Tag fruchtloser Recherche hatte er im letzten Augenblick diesen Termin ergattert.
Zuerst hatte er in einer medizinischen Fachbuchhandlung gynäkologische Lehrbücher gewälzt – und nichts davon verstanden. Allen diesen Büchern fehlte das Wesentliche: die persönliche Komponente, das subjektive Erleben. Schließlich hatte er sich entschlossen, eine Spezialistin zu konsultieren: Diese Gynäkologin war die Einzige, die an dem Tag noch einen Termin frei hatte, um sieben Uhr abends.
»Was genau wollen Sie wissen?«
Er zückte Block und Bleistift.
»Stört es Sie, wenn ich mitschreibe?«
Sie zuckte mit den Achseln.
»Als Erstes würde ich gern wissen, ob das Blut von Männern und Frauen dieselbe Zusammensetzung hat.«
»Natürlich nicht.«
»Was ist bei Frauen anders?«
»Die Hormone. Weibliches Blut weist einen je nach Zykluszeitpunkt unterschiedlich hohen Östrogen- und Progesteronspiegel auf.«
Mark schrieb die Begriffe auf, wie er sie gehört hatte – er wagte nicht, sie um eine Wiederholung zu bitten.
»Wirken sich diese Hormone auf die Farbe des Blutes aus?«
»Nein. Eher aufs Gemüt. Der Anstieg und das Absinken der Hormonkonzentration im Verlauf des monatlichen Zyklus zieht Stimmungsschwankungen nach sich, auch Phasen der Niedergeschlagenheit. In schlimmen Fällen verschreibe ich Progesteronpflaster gegen Depressionen.«
»Können Sie mir was über das Menstruationsblut erzählen?«
»Aus welchem Blickwinkel?«
»Seine Beschaffenheit. Seine Farbe. Und zunächst: Ist es eine starke Blutung?«
Die Gynäkologin schüttelte den Kopf. Im dämmrigen Licht verschwamm ihr dunkler Teint fast mit dem Hintergrund.
»Das ist von Frau zu Frau verschieden. Bei manchen ist der Blutverlust erheblich, bei anderen sind es nur ein paar Tropfen. Die Menge variiert auch im Verlauf des Lebens. Junge Mädchen, deren Zyklus sich noch nicht eingespielt hat, bluten oft sehr stark, regelrechte Springbrunnen.«
»Und die Farbe? Ist sie immer gleich?«
»In der Regel ja: dunkel. Es ist Venenblut, sauerstoffarm.«
»Entschuldigen Sie, aber der Zusammenhang ist mir nicht klar.«
»Bei Ihnen muss man wirklich mit Adam und Eva anfangen! Also, beim Blutkreislauf des Menschen unterscheiden wir den Arterien- und den Venenkreislauf. Die Arterien sind die Schlagadern, die Blutgefäße, die das Blut vom Herzen weg zur Lunge befördern, wo es sich mit Sauerstoff anreichert und dann den Körper damit versorgt. Das Netz der Venen hingegen sorgt für den Rücktransport des verbrauchten – eben sauerstoffarmen – Blutes zum Herzen. Venenblut ist viel dunkler.«
»Wieso?«
»Es ist der Sauerstoff, der das Blut hell färbt.«
»Und warum stammt das Menstruationsblut aus dem Venenkreislauf?«
»Na, hören Sie mal, das artet ja zu einer Anatomievorlesung aus! … Die Gebärmutterwand ist mit einer Schleimhaut ausgekleidet, die sich im Verlauf des Zyklus mit Blut füllt, um gegebenenfalls die befruchtete Eizelle aufnehmen zu können. Die Mutter ernährt ihren Fötus, wie sie die eigenen Organe und Muskeln ernährt: mit ihrem Blut. Wenn nach dem Eisprung das Ei in die Gebärmutter gewandert ist, sich aber, weil es nicht befruchtet wurde, nicht dort einnistet, stößt die Gebärmutter die nicht benötigten Reserven wieder ab. Es kommt zur Monatsblutung. Auch wenn dieses Blut keinem Embyro zugute kam, ist
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