Das schwarze Buch der Geheimnisse (German Edition)
zu spüren. Alle hatten irgendetwas Grauenhaftes erwartet. Es wäre gewiss nicht unverdient gewesen.
»Für mich sieht er eher aus, als wäre er erstickt. Und mit seinen Händen stimmt auch was nicht. Seid Ihr denn sicher?«
Dass Jeremiah erstickt sein könnte, war kaum mehr als Wunschdenken, doch nach einem gründlicheren Blick auf den Toten konnte auch Mouldered nicht bestreiten, dass Jeremiahs Hände ziemlich rot und von Blasen übersät waren, als hätte er sich schwer verbrannt.
»Jawohl, ich bin sicher«, sagte er mit der Überzeugungskraft eines Menschen, der keineswegs sicher ist. »Ein Herzanfall bringt es manchmal mit sich, dass dabei die Hände, äh …« Er fummelte in seinen Taschen, als suche er dort nach dem korrekten medizinischen Begriff. Als er aber nichts fand, gab er auf und beendete seine Erklärung lahm: »Nun, dass die Hände so … aussehen.«
Augenbrauen zuckten hoch, Köpfe wurden geschüttelt, kaum unterdrücktes Kichern wurde laut, aber da Mouldered nichts weiter sagte und die Aufregung ohnehin vorbei war, schoben sich die Dorfleute, mit ihren heimlichen Beutestücken klirrend, langsam aus dem Zimmer. In der Stille, die nuneinkehrte, schloss Mouldered mit zitternden Fingern Jeremiahs Augen und löste das Papier aus den starren Händen. Er warf einen flüchtigen Blick darauf, faltete es zusammen und wollte es eben einstecken, da erschien Perigoe.
»Das gehört Joe«, sagte sie. »Es ist aus einem Buch über Amphibien, das er bei mir gekauft hat.«
»Ah, Perigoe«, sagte Mouldered und gab es ihr. »Könntet Ihr wohl dafür sorgen, dass er es zurückbekommt?«
Sie nickte und ging schnell hinaus – ein abgegriffenes rötlich braunes Buch unter dem Arm.
Nur eins? Wie bescheiden, dachte Mouldered.
Kapitel 39
Fragment aus den
Erinnerungen des Ludlow Fitch
K aum hatten die versammelten Dorfleute gehört, dass Ratchet tot sei, hatten sie kehrtgemacht und waren die Straße hinuntergerannt. Joe lief nach vorn in den Laden und fing an, mit einem alten Mantel aus dem Schaufenster auf die Flammen einzuschlagen. Um ehrlich zu sein, es war mehr Rauch als Feuer, und das Löschen dauerte nicht lange. Trotzdem war der Schaden beträchtlich. Alles war angekohlt oder rauchgeschwärzt, und der beißende Geruch machte das Atmen unangenehm. Zu retten gab es wenig. Der schneidende Wind, der jetzt durch die zerbrochenen Fenster und die zertrümmerte Tür hereinblies, fegte den Rauch davon und machte die Luft allmählich wieder klar. Ich half Joe, ohne zu wissen warum. Keuchend vor Anstrengung zertrampelte er schließlich eine letzte eigensinnige Flamme, dann setzte er sich und ruhte sich aus.
»Was für eine Schande, diese unnötige Zerstörung«, murmelte er. »Aber ich denke, es hätte schlimmer kommen können. Immerhin habe ich das hier noch.« Er bückte sich und zog unter Mauerbrocken, Glassplittern und Asche das Holzbeinhervor, wundersamerweise unversehrt, und ging damit ins Hinterzimmer. Als ich zur Tür hineinschaute, hatte er schon Schal und Umhang an und mühte sich, das Holzbein in seinem Ranzen unterzubringen.
Plötzlich ging alles viel zu schnell. Einerseits war ich wütend auf Joe wegen seines Verhaltens und wegen des Mordes, den er nach meiner festen Überzeugung begangen hatte, und andererseits hatte ich Angst, weil er wegging.
»Das ist alles? Ihr wollt einfach so gehen?«
»Ich kann hier nicht mehr viel tun«, sagte er. »Es gibt keinen Grund, zu bleiben.«
»Und der Laden?«
»Der Laden ist am Ende. Wir können irgendwo anders neu anfangen.« Er schwang sich den Beutel über die Schulter, kam nach vorn und stieg auf dem Weg zur Tür vorsichtig über die Trümmer. »Kommst du mit?«
Wie konnte er nur so ruhig sein? Mein Herz raste.
Ich zögerte. »Ich weiß nicht, ob ich mit Euch gehen kann.«
»Oh.« Das klang, als habe er mit dieser Möglichkeit nicht gerechnet. Er runzelte die Stirn. »Ich dachte, du hast gewusst, dass wir nicht für immer hier bleiben können. Vielleicht hätte ich ja schon eher etwas sagen sollen. Meine Arbeit zwingt mich zu ständigem Weiterziehen.«
»Das ist es nicht«, sagte ich. »Ich wäre mit Euch überallhin gegangen, aber …« Ich konnte es nicht sagen. Die Worte blieben mir im Hals stecken. Wortlos standen wir voreinander, bis das Schweigen von einer leisen Stimme gebrochen wurde. Wir blickten auf. Es war Perigoe.
»Mr Zabbidou«, sagte sie. »Mr Zabbidou.« Sie stieg durch die Überreste der Tür, fassungslos beim Anblick der Zerstörung.
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