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Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus

Titel: Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stephen;Straub King
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sie stört ihn weniger als die Verrücktheit, die sich in den nachgemachten Briefmarken und den mühsam hingekritzelten Lettern seines alten Kosenamens manifestiert. Mit Verrückten hat er schon früher zu tun gehabt. Von gegen ihn ausgesprochenen Drohungen ganz zu schweigen.
    Er setzt sich mit dem Sportschuhkarton auf den Knien auf die Stufen vor der Haustür. Vor ihm erstreckt sich das Nordfeld noch ganz still und grau. Bunny Boettcher, Tom Toms Sohn, hat die zweite Mahd erst letzte Woche vorgenommen, und nun hängt flacher Bodennebel über den knöchelhohen Stoppeln. Der Himmel darüber beginnt gerade erst hell zu werden. Noch keine einzige Wolke stört seine stille Nicht-Farbe. Irgendwo ruft ein Vogel. Jack atmet tief durch und sagt sich: Ist’s jetzt aus mit mir, könnte ich’s schlimmer treffen. Viel schlimmer.
    Dann nimmt er ganz vorsichtig den Deckel des Kartons ab und legt ihn beiseite. Nichts explodiert. Aber es sieht so aus,
als hätte jemand den New-Balance-Karton mit Nacht vollgepackt. Dann erkennt Jack, dass er mit glänzenden schwarzen Krähenfedern ausgestopft ist, und spürt eine Gänsehaut auf den Armen.
    Er will nach den Federn greifen, dann hält er aber inne. Er berührt diese Federn ungefähr so gern, wie er den Leichnam eines halb verwesten Pestopfers berühren würde. Aber unter ihnen liegt etwas. Er kann es sehen. Sollte er sich Handschuhe holen? Im Garderobenschrank in der Diele liegen welche …
    »Scheiß auf die Handschuhe«, sagt Jack und kippt den Inhalt des Kartons auf das braune Packpapier, das neben ihm auf der Veranda liegt. Als Erstes kommt eine Flut von Federn, die selbst in der völlig stillen Morgenluft leicht umherwirbeln. Danach ein dumpfer Schlag, mit dem der Gegenstand, um den die Federn gestopft waren, auf die Veranda poltert. Im nächsten Augenblick steigt Jack Verwesungsgeruch in die Nase.
    Jemand hat beim Anwesen Sawyer in der Norway Valley Road einen mit Blut getränkten Kinderlaufschuh zugestellt. Irgendetwas hat diesen ziemlich stark benagt – und den Inhalt noch mehr. Jack sieht ein Futter aus blutig verfärbtem Baumwollgewebe, das einmal eine Socke gewesen sein muss. Und in der Socke sind Haut- und Fleischfetzen zu erkennen. Es handelt sich um einen Kinderlaufschuh der Marke New Balance mit einem Kinderfuß darin, den irgendein Tier stark benagt hat.
    Er hat ihn mir geschickt, denkt Jack. Der Fisherman.
    Um ihn zu verspotten. Um ihm zu sagen: Komm doch rein, wenn du mitspielen willst. Das Wasser ist angenehm, Jacky-Boy, das Wasser ist angenehm.
    Jack steht auf. Sein Herz rast, die Schläge folgen jetzt zu dicht aufeinander, um sich zählen zu lassen. Die Schweißperlen auf seiner Stirn sind angeschwollen und geplatzt und ihm wie Tränen übers Gesicht gelaufen, Lippen, Hände und Füße sind taub … Aber trotzdem sagt er sich, dass er ruhig ist. Dass er in L. A. an Brückenpfeilern und in Freeway-Unterführungen schon Zerschelltes, schon Schlimmeres, weit Schlimmeres gesehen hat. Noch ist das hier für ihn der erste abgetrennte Körperteil. Im Jahr 1997 hatten sein Partner Kirby Tessier und er
in der Stadtbücherei von Culver City einen einzelnen Hoden entdeckt, der wie ein altes weich gekochtes Ei auf einem WC-Spülkasten lag. Deshalb sagt er sich, dass er ruhig ist.
    Er steht also auf und geht die Stufen hinunter. Er geht an der Motorhaube seines burgunderroten Dodge Ram mit der Weltklasse-Stereoanlage darin vorbei; er geht an dem Vogelhotel vorbei, das Dale und er ein, zwei Monate nach Jacks Einzug am Rand des Nordfelds aufgestellt haben, das perfekteste Mehrfach-Vogelhaus des Universums. Er sagt sich, dass er ruhig ist. Er sagt sich, dass das ein Beweisstück ist, sonst nichts. Nur ein weiterer Strang in der Henkerschlinge, die der Fisherman sich letztlich selbst um den Hals legen wird. Er ermahnt sich, es nicht als Teil eines Kindes, als Teil eines kleinen Mädchens namens Irma, sondern als Beweisstück A zu sehen. Er spürt, wie Tau seine nackten Fußknöchel benetzt und den Saum seiner Jeans durchnässt, und weiß, dass er sich bei einem etwas längeren Spaziergang durch das knöchelhohe Gras ein Paar Gucci-Slipper für 500 Dollar ruinieren wird. Aber was ist schon dabei? Er ist so reich, dass es schon nicht mehr geschmacklos ist; wenn er will, kann er sich so viele Schuhe kaufen wie Imelda Marcos. Wichtig ist nur, dass er ruhig ist. Jemand hat ihm einen Schuhkarton mit einem Kinderfuß gebracht, hat ihn im Dunkel der Nacht vor seiner Haustür abgelegt,

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