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Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus

Titel: Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stephen;Straub King
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nicht zu öffnen; die intensiveren, üppigeren Gerüche, die ihm plötzlich in die Nase steigen, sagen ihm alles, was er wissen muss. Und dazu kommt das Gefühl einer Heimkehr nach so vielen dunklen Jahren, in denen praktisch jede wache Bewegung und Entscheidung irgendwie dem Zweck gedient hat, das Eintreffen eben dieses Augenblicks zu verhindern (oder zumindest zu verzögern).
    Dies ist Jack Sawyer, meine Damen und Herrn, mitten auf einer großen Wiese unter einem Morgenhimmel, den kein Partikel Luftverschmutzung befleckt, auf den Knien liegend. Er weint. Er weiß, was geschehen ist, und er weint. Das Herz rast ihm vor Angst und Freude.

    Dies ist Jack Sawyer zwanzig Jahre später: zum Mann herangereift und endlich wieder in den Territorien.
     
    Es ist die Stimme seines alten Freundes Richard – manchmal auch Rationaler Richard genannt -, die ihn rettet. Der jetzige Richard, Seniorpartner der eigenen Anwaltskanzlei (Sloat & Associates, Ltd.), nicht der Richard von früher, als Jack ihn wahrscheinlich am besten kannte, sein Freund aus langen Sommerferien auf Seabrook Island in South Carolina. Der Richard von Seabrook Island war fantasievoll, lebhaft, flink auf den Beinen, wuschelhaarig und dünn wie ein Morgenschatten gewesen. Der jetzige Richard, Fachanwalt für Körperschaftsrecht, hat schütteres Haar, ist recht beleibt und hat eine gro ße Vorliebe für sitzende Tätigkeiten und Bushmills Irish Whisky. Außerdem hat er seine Fantasie, die damals auf Seabrook Island so großartig verspielt war, wie eine lästige Fliege zerquetscht. Richard Sloat ist das Opfer einer Umerziehung geworden, findet Jack manchmal, aber etwas anderes ist auch dazugekommen (vermutlich auf der Law School): ein pompöser, schafähnlicher, zögerlicher Laut, am Telefon besonders irritierend, der jetzt Richards Stimmsignatur ist. Dieser Laut beginnt bei geschlossenen Lippen und verstärkt sich dann, während Richard schlagartig die Lippen öffnet, sodass er wie eine absurde Kreuzung aus einem Wiener Sängerknaben und Bela Lugosi aussieht.
    Während Jack jetzt mit zusammengekniffenen Augen in der Mitte der weiten grünen Fläche kniet, die einst sein Nordfeld war, und die neuen, intensiveren Gerüche wahrnimmt, an die er sich so gut erinnert, nach denen er sich so heftig gesehnt hat, ohne es überhaupt zu merken, hört er, wie Richard Sloat in seinem Kopf zu sprechen beginnt. Was für eine Erleichterung diese Worte sind! Er weiß, dass dies nur sein eigener Verstand ist, der Richards Stimme imitiert, aber es ist trotzdem wundervoll. Wäre Richard jetzt hier, würde Jack seinen alten Freund vermutlich umarmen und sagen: Auf dass du bis in alle Ewigkeit dozierst, Richie-Boy. Mit Schafgeblöke und allem.
    Der Rationale Richard sagt: Du merkst hoffentlich, dass du träumst, Jack, oder? … ba-haaaa … Der Stress beim Öffnen
des Päckchens... ba-haaaa … hat dich zweifelsohne ohnmächtig werden lassen, und das hat wiederum … ba-HAAAA! … den Traum ausgelöst, den du jetzt hast.
    Jack, der weiter mit geschlossenen Augen und ihm ins Gesicht hängenden Haaren auf den Knien liegt, sagt: »Mit anderen Worten ist das etwas, was wir damals …«
    Ganz recht! Was wir damals … ba-haaaa … »Seabrook-Island-Zeug« genannt haben. Aber Seabrook Island war vor langer Zeit, Jack, deshalb schlage ich vor, dass du jetzt die Augen öffnest, wieder aufstehst und dir darüber klar wirst, dass die ungewöhnlichen Dinge, die du vielleicht zu sehen glaubst … b’haa! … nicht wirklich da sind.«
    »Nicht wirklich da«, murmelt Jack. Er steht auf und öffnet die Augen.
    Er erkennt auf den ersten Blick, dass die ungewöhnlichen Dinge wirklich da sind, aber er behält Richards großspurige »Ich sehe wie fünfunddreißig aus, bin aber in Wirklichkeit sechzig«-Stimme im Kopf und benützt sie als Schutzschild. So gelingt es ihm, ein labiles Gleichgewicht zu bewahren, statt tatsächlich in Ohnmacht zu fallen oder – vielleicht – ganz den Verstand zu verlieren.
    Über ihm leuchtet der Himmel in einem unendlich klaren dunklen Blau. Um ihn herum stehen Rispen- und Timotheusgras hüfthoch, nicht nur knöchelhoch; in diesem Teil der Schöpfung gibt es keinen Bunny Boettcher, der es gemäht hat. Übrigens steht hinter Jack, wo er hergekommen ist, auch kein Farmhaus, sondern nur eine malerische alte Scheune mit einer Windmühle daneben.
    Wo sind die fliegenden Menschen?, fragt Jack sich mit einem Blick zum Himmel, dann schüttelt er energisch den Kopf. Keine

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