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Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus

Titel: Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stephen;Straub King
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aber er ist ruhig. Das ist ein Beweisstück, sonst nichts. Und er? Er ist ein Schutzmann. Beweisstücke sind sein täglich Brot. Er braucht nur etwas frische Luft, muss den Verwesungsgeruch, der aus dem Schuhkarton aufgestiegen ist, aus der Nase bekommen …
    Jack gibt einen erstickten Würgelaut von sich und hastet etwas schneller weiter. In seinem Verstand ( meinem ruhigen Verstand, redet er sich ein) verstärkt sich das Gefühl einer herannahenden Klimax. Irgendetwas steht kurz davor sich zu ereignen … oder sich zu verändern … sich zurück zuverwandeln.
    Diese letzte Vorstellung ist besonders alarmierend, und Jack beginnt mit hochgerissenen Knien und pumpenden Armen über die abgemähte Fläche zu rennen. Dabei hinterlässt er eine dunkle Spur im Gras: eine Diagonale, die an der Einfahrt zu
seinem Haus beginnt und überall enden könnte. Vielleicht in Kanada. Oder am Nordpol. Weiße Falter, aus ihrer tauschweren Morgenstarre aufgeschreckt, flattern in trägen Schwärmen auf und sinken dann schlaff ins Gras zurück.
    Er rennt schneller, weg von dem zerbissenen, blutgetränkten Laufschuh, der auf der Veranda seines perfekten Hauses liegt, weg von seinem eigenen Horror. Aber das Gefühl einer herannahenden Klimax lässt sich nicht abschütteln. Vor seinem inneren Auge beginnen Gesichter aufzusteigen, jedes mit seinem eigenen bruchstückhaften Soundtrack. Gesichter und Stimmen, die er seit zwanzig und mehr Jahren ignoriert hat. Steigen diese Gesichter auf oder murmeln diese Stimmen, hat er sich bisher mit der alten Lüge beruhigt, es habe einst einen verängstigten kleinen Jungen gegeben, der sich von der neurotischen Panik seiner Mutter wie von einer Erkältung habe anstecken lassen und sich eine Story, eine großartige Fantasiegeschichte, mit dem guten alten Jack Sawyer, der seine Mama rettet, als Hauptperson ausgedacht. Nichts davon war real, und als 16-Jähriger hatte Jack es alles vergessen. Damals war er ruhig gewesen. Wie er jetzt ruhig ist, während er wie ein Verrückter über die Wiese rennt und diese dunkle Spur, diese Schwärme von aufgeschreckten Faltern hinter sich zurücklässt, was er aber ganz ruhig tut.
    Ein schmales Gesicht, eng beieinander stehende Augen unter einer schräg aufgesetzten weißen Papiermütze: Wenn du mir ein Fass rausrollen kannst, wenn ich eines brauche, kannst du den Job haben. Smokey Updike aus Oatley, New York, wo sie erst das Bier tranken und dann das Glas fraßen. Oatley, wo es im Tunnel außerhalb der Stadt irgendetwas gegeben hatte und wo Smokey ihn gefangen gehalten hatte. Bis …
    Forschender Blick, falsches Lächeln, leuchtend weißer Anzug: Irgendwo habe ich dich schon mal gesehen, Jack … aber wo? Sag’s mir. Bekenne. Sunlight Gardener, ein Prediger aus Indiana, dessen Name auch Osmond gewesen war. Osmond hatte er in irgendeiner anderen Welt geheißen.
    Das breite, behaarte Gesicht und der ängstliche Blick eines Jungen, der gar kein Junge war: Dies ist ein schlimmer Ort, Jacky, Wolf weiß es. Und das stimmte, es war ein sehr schlimmer
Ort. Sie steckten ihn in eine Box, steckten den guten alten Wolf in eine Box, und zuletzt brachten sie ihn um. Wolf starb an einer Krankheit namens Amerika.
    »Wolf!«, keucht der übers Nordfeld rennende Mann. »Wolf, o Gott, das tut mir Leid!«
    Gesichter und Stimmen, alle diese Gesichter und Stimmen, die vor seinem inneren Auge aufsteigen, ihm in den Ohren gellen, gesehen und gehört werden wollen, ihn mit der Ahnung einer herannahenden Klimax erfüllen und seine Abwehrmechanismen zu durchbrechen drohen, wie eine Flutwelle über einen Deich hinwegbrandet.
    Übelkeit durchröhrt ihn und lässt die Welt wild kippen. Er gibt erneut Würgelaute von sich, und diesmal füllt sich seine Kehle mit einem Geschmack, an den er sich erinnert: mit dem Geschmack von billigem, kratzigen Wein. Und plötzlich ist er wieder in New Hampshire, wieder in der Arcadia Funworld. Speedy und er stehen wieder neben dem Karussell mit seinen zur Leblosigkeit erstarrten Pferden (»Alle Karussellpferde haben Namen, hast du das nicht gewusst, Jack?«), und Speedy hält ihm eine Flasche Wein hin und behauptet, das sei ein Zaubertrank, ein kleiner Schluck davon, dann wird er hinübergehen, hinüberflippen …
    »Nein!«, ruft Jack, obwohl er weiß, dass es dafür schon zu spät ist. »Ich will nicht hinübergehen!«
    Die Welt kippt auf die andere Seite zurück, und er fällt mit krampfhaft zusammengekniffenen Augen auf allen vieren ins Gras. Er braucht die Augen

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