Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
Schweiß, ungewaschenen Leibern und abgestandenem Bier, den seine Mitfahrer absondern, an seiner Kleidung haftet. Hinter sich hört er Freddy von der Ladefläche springen, während die anderen aussteigen und die Autotüren schließen, ohne mehr als doppelt so viel Lärm zu machen wie unbedingt nötig. Von seinem Standort aus kann Wendell nur die farblose, verrottete Rückwand von Ed’s Eats aus einem Dickicht aus Wilder Möhre und Tigerlilien aufragen sehen. Leise Stimmen, von denen eine Beezer St. Pierre gehört, dringen ihm ans Ohr. Wendell überprüft rasch seine Nikon, nimmt den Objektivdeckel ab und vergewissert sich, dass der neue Film richtig transportiert wird, bevor er mit langsamen, lautlosen Schritten an den Harleys vorbeigeht und der Längsseite des verfallenen Gebäudes folgt.
Bald kann er die überwachsene Zufahrt und den querstehenden Streifenwagen sehen, der sie blockiert. Unmittelbar am Highway diskutieren Danny Tcheda und Pat Stevens mit einem Dutzend Männer und Frauen, die ihre Autos kreuz und quer wie Spielsachen verstreut hinter sich zurückgelassen haben.
Das wird nicht mehr lange funktionieren: Falls Tcheda und Stevens einen Damm bilden sollen, wird dieser Damm demnächst an einigen Stellen brechen. Wendell kann das nur recht sein: Größtmögliches Chaos würde ihm weit mehr Bewegungsfreiheit verschaffen und auch die Story farbiger machen. Er wünscht sich, er könnte gleich jetzt in sein Diktiergerät murmeln:
Die Unerfahrenheit von Chief Gilbertsons Truppe zeigte sich in den vergeblichen Bemühungen der Officers Tcheda und Stevens, die große Zahl jener Bürger abzuweisen, die gekommen waren, um den neuesten Beweis für die Geistesgestörtheit des Fishermans mit eigenen Augen zu sehen … Ah, irgendwas, irgendwas, dann: … aber dem Verfasser dieser Zeilen gelang es, bis zum Tatort vorzudringen, wo ihn das Bewusstsein, als die Augen und Ohren seiner Leser dienen zu dürfen, mit Stolz und Demut erfüllte …
Wendell hasst es, solch wunderbares Zeug einzubüßen. Leider gibt es keine Garantie dafür, dass er sich später daran erinnern wird, aber er darf jetzt nicht riskieren, gehört zu werden. Er geht weiter auf die Vorderseite des Ed’s Eats zu.
Die demütigen Ohren der Öffentlichkeit belauschen, wie Beezer St. Pierre und Dale Gilbertson direkt vor dem Gebäude ein überraschend freundschaftliches Gespräch führen; die demütigen Augen der Öffentlichkeit beobachten, wie Jack Sawyer mit einem leeren Plastikbeutel und einer Baseballmütze in der rechten Hand in Sicht kommt. Die demütige Nase der Öffentlichkeit meldet einen wahrhaft grässlichen Gestank, der die Anwesenheit einer verwesenden Leiche in dem schäbigen kleinen Bau rechts von Wendell bezeugt. Jack bewegt sich etwas behänder als sonst, und obgleich klar ist, dass er nur zu seinem Pickup will, sieht er sich immer wieder um.
Was geht hier vor? Der Goldjunge wirkt ganz entschieden schuldbewusst. Er benimmt sich wie ein Ladendieb, der sich gerade seine Beute unter die Jacke stopft, und Goldjungen sollten sich nicht so benehmen. Wendell hebt die Kamera und stellt sie aufs Ziel scharf. Da haben wir dich, Jack, alter Junge, alter Freund, alter Kumpel, frisch wie ein neuer Geldschein und doppelt so scharf. Mach ein nettes Gesicht für die Kamera und
lass uns sehen, was du in der Hand hältst, okay? Wendell macht ein Foto und verfolgt dann durch den Sucher, wie Jack zu seinem Truck geht. Der Goldjunge will diese Sachen im Handschuhfach verstauen, denkt Wendell, und möchte dabei nicht gesehen werden. Pech für dich, Kleiner, hier arbeitet die versteckte Kamera. Aber Pech auch für die stolzen und doch demütigen Augen und Ohren von French County. Als Jack Sawyer seinen Pickup erreicht, steigt er nämlich nicht etwa ein, sondern beugt sich seitlich über die Ladefläche und fummelt dort an etwas herum, wobei er unserem edlen Journalisten den Rücken und sonst gar nichts zeigt. Der edle Journalist macht trotzdem eine Aufnahme, damit eine Bildfolge zum nächsten Foto entsteht, auf dem Jack Sawyer sich von seinem Truck abwendet – mit leeren Händen und nicht mehr schuldbewusst. Er hat seine schmuddeligen Schätze dort unsichtbar verstaut, aber was hat sie zu Schätzen gemacht?
Dann wird Wendell Green von einem Blitzstrahl getroffen. Ein kalter Schauer überläuft seine Kopfhaut, und sein krauses Haar droht sich zu glätten. Eine großartige Story ist soeben unglaublich großartig geworden. Teuflischer Mörder, verstümmelte
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